In vielen Schulklassen gibt es heute mindestens ein Kind mit der Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder ADS (hier fehlt die Hyperaktivität). Die Betroffenen ecken im Schulalltag an. Sie haben Schwierigkeiten sich zu konzentrieren und dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Das oft impulsive Verhalten und die ausgeprägte körperliche Unruhe der Kinder sind für den Klassenverband und die Lehrkräfte mitunter sehr belastend. Laut ADHS Deutschland e.V. wird ADHS von Lehrer:innen und Erzieher:innen aller Schulformen noch immer als eine der größten pädagogischen Herausforderungen angesehen. Nicht selten sind auch sie es, die sich dann an die Eltern wenden und zu einer ärztlichen Untersuchung raten. Meist gibt es im Vorfeld gewisse Anhaltspunkte, die eine ADHS-Diagnose vermuten lassen.
Diagnose: ADS oder ADHS
In unserem Artikel „ADS und ADHS bei Säuglingen und Kleinkindern“ haben wir ausführlich berichtet, wie sich die Störung auch schon bei Kleinkindern zeigen kann. Oft wird es jedoch erst mit dem Einstieg in das Schulleben festgestellt. Die Entstehung von ADHS/ADS-Symptomen können sehr vielfältig sein. Aktuellen Erkenntnissen nach handelt es sich bei ADS und ADHS wahrscheinlich um eine Regulationsstörung im Frontalhirn. Hierdurch befinden sich die Neurotransmitter (u. a. Dopamin und Noradrenalin), die für die Reizweiterleitung zuständig sind, nicht im Gleichgewicht. Oft gibt es mehrere Einflussfaktoren. Ursachen können u. a. sein:
- Wahrnehmungsstörung
- Verzögerte Entwicklung
- Genetische Voraussetzungen
- Traumatische Erlebnisse oder starker Stress im Kleinkindalter
- Hochsensibilität
Es ist nicht immer einfach zu sagen, an welchem Punkt das Krankheitsbild beginnt oder ob es sich vielleicht um ein ganz normales kindliches Verhalten handelt. Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum ein Kind aufgeregt und zappelig ist oder sich nicht gut konzentrieren kann. Vor allem in der heutigen Zeit des Hochleistungsgemüseanbaus sollte auch die Möglichkeit von Nährstoffmängel wie Omega-3 oder B-Vitaminen bedacht werden. Fakt ist: Die Tendenz für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen ist steigend. Doch um ADHS/ADS zu bestätigen oder auszuschließen, bedarf es in jedem Fall ein ausführliches Diagnoseverfahren. In der Regel stellt ein Facharzt/eine Fachärztin oder eine psychotherapeutische Praxis die Diagnose.
Woran erkennt man ein ADHS/ADS-bedingte Verhaltensauffälligkeit?
Folgende Verhaltensweisen können auf ADHS/ADS hinweisen:
- Geringe Aufmerksamkeitsspanne
- Schnelle Überreizung
- Unaufmerksamkeit (z. B. Flüchtigkeitsfehler, Schwierigkeiten lange zuzuhören)
- Fehlende Ausdauer
- Oppositionelles Verhalten
- Schwierigkeiten Anweisungen in der Schule oder zuhause nachzukommen
- Starker Bewegungsdrang (Hyperaktivität – z. B. zappelig, steht oft auf, läuft viel herum, hat Schwierigkeiten, sich ruhig und über längeren Zeitraum mit einer Sache zu beschäftigen)
- Unkonzentriert
- Laut
- Häufiges Reden
- Feinsinnig
- Sehr impulsiv
Im Schulalltag fallen die Kinder auf. Sie sind oft unkonzentriert. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit aufrecht zuhalten. Sie passen nicht auf und übersehen häufig wichtige Details in Aufgabenstellungen. Abwarten fällt ihnen schwer, sie rufen vielleicht oft rein, reagieren oft übermäßig emotional und laut. Sie sind schnell entmutigt und der ständige Bewegungsdrang sorgt für Unruhe.
Die Diagnose liegt vor und nun?
Ein ADHS/ADS-Befund liegt vor. Jetzt ist es entscheidend, dass Eltern und Pädagogen im Interesse des Kindes eng zusammenarbeiten. Im Rahmen einer Klassenkonferenz wird ein zukünftiges Vorgehen besprochen. Hier wird unter anderem geprüft, ob dem Kind ein sogenannter „Nachteilsausgleich“ gewährt werden kann. Ein solcher „Nachteilsausgleich“ bedeutet, dass das Kind für bestimmte Aufgaben mehr Zeit erhält oder seinen erhöhten Bewegungsdrang während des Unterrichts nachkommen darf. An der Konferenz nehmen neben den Eltern auch Schulpsychologen oder Psychologinnen, Lehrende und die Schulleitung teil. Letztere entscheidet auch über Art und Umfang des „Nachteilsausgleichs“.
Einige Schulen raten schnell zu Maßnahmen wie der Gabe von Ritalin und setzten Eltern mitunter unter Druck. Psychologen und Psychologinnen sind mit einer vorschnellen Medikamentengabe vorsichtig geworden. Eine medikamentöse Behandlung kann den Leidensdruck eines Kindes minimieren. Dennoch ist es ein Eingriff, der wohl überlegt sein sollte. Junge Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Medikamente und es braucht eine gewisse Zeit der Anpassung. Als Schule eine Medikamenteneinnahme zu fordern ist in jedem Fall unzulässig.
Abgesehen davon ist ADHS/ADS für Lehrende und Pädagogen keine Neuerscheinung mehr. Die Diagnose ist schon lange bekannt und hatte ihre Hochzeit bereits vor über zwanzig Jahren. Die Schulen haben langjährige Erfahrung mit betroffenen Kindern. Zudem hat das Lehrpersonal in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit, sein Wissen in Fortbildungen zu dieser Thematik aufzufrischen. Eine Lehrkraft mit einem ADHS-Kind, sollte also schauen, welche Möglichkeiten vorhanden sind, um dieses Kind bestmöglich zu unterstützen. Ob das bei überfüllten Klassen und Personalmangel zu schaffen ist, sei mal dahin gestellt.
ADHS/ADS im Schulalltag
Wir haben heutzutage Klassengrößen von bis zu 30+ Kindern. Darunter sind vielleicht Flüchtlingskinder, Kinder mit ADHS/ADS, Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) und so weiter. Um allen gerecht zu werden bedarf es „Classroom-Management“. Klassenraum-Management mein alle Maßnahmen, die das Lehrpersonal ergreifen kann, um für alle eine strukturierte Lernumgebung zu schaffen, die sowohl das fachliche als auch soziales und emotionales Lernen fördert.
Lehrkräfte haben dabei verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Sie können Förderpläne so gestalten, dass sie auf die individuellen Schwierigkeiten der Schüler:innen eingehen und diese berücksichtigen. Die kann zum Beispiel durch die Schaffung einer reizarmen Umgebung oder den Einsatz von Verstärkersystemen passieren. Das „Classroom-Management“ umfasst bestimmte Abläufe, die alle Kinder von Beginn an lernen. Diese schaffen eine Grundstruktur und Halt. Das ist besonders für Kinder mit ADHS sehr wichtig. Sie benötigen eine klare und verlässliche Struktur im Alltag.
Zauberwort: Inklusion
Das Zauberwort heißt Inklusion. In NRW wurde es im Zuge der Landtagswahlen 2017 sogar zum großen Wahlkampf-Schwerpunkt. Die Bildungsstätte muss Strukturen schaffen, die den unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen und somit auch jungen Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen entsprechen. Aufgrund fehlender Lehrkräfte lässt sich dies entsprechend besser oder schlechter umsetzen. Oft weisen Schulen explizit darauf hin, dass sie einen besonderen Wert auf Inklusion legen. Hier bekommen Interessierte meist schon auf der Website einen Einblick in die pädagogische Arbeit. Für Kinder mit ADHS/ADS sind klare Strukturen und Regeln enorm wichtig. Selbstorganisation oder ein zu offener Unterricht überfordern sie schnell.
Die richtige Schule finden
Viele Kinder mit einer ADHS/ADS-Diagnose erleben einige unglückliche Schulwechsel in ihrer Schullaufbahn. Überforderte Pädagogen ziehen sich aus der Verantwortung. Eltern werden mit ihren Sorgen alleingelassen. Doch es ist möglich eine passende und richtige Schule zu finden.
Unter bestimmten Umständen kann bei betroffenen Kindern ein sonderpädagogischer Förderbedarf bestehen. Dies wäre zum Beispiel bei extremen Schwierigkeiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung der Fall. So etwas muss jedoch immer individuell festgestellt werden. Ist der Bedarf gegeben, darf das Kind eine Schule mit einem entsprechenden Förderschwerpunkt besuchen. Hier sind die Klassen deutlich kleiner und die Lehrkräfte verfügen über eine spezielle Fachausbildung. Bildungseinrichtungen, die Inklusion aktiv umsetzen und daher integrative Konzepte, ausreichend Lehrpersonal und kleinere Klassenstärken anbieten können, sind oft die bessere Wahl. Mittlerweile gibt es viele Privatschulen, die sich auf Kinder mit ADHS/ADS spezialisiert haben. Grundsätzlich sollte jedoch der Besuch jeder Schulform auch für Kinder mit ADHS/ADS möglich sein.
Wo finden betroffene Familien Beratung und Unterstützung?
Es ist immer gut und wichtig sich Hilfe zu holen. Zu viele Familien haben schon einen langen Leidensweg hinter sich. Zum Beispiel der Verein ADHS Deutschland e. V. oder das zentrale ADHS-Netz bieten umfangreiche Informationen zum Thema ADHS/ADS an. Hier findet man Hilfe, erfährt detailliert über das das Diagnoseverfahren und verschiedene Therapiemöglichkeiten. Zudem gibt es die Möglichkeit der Vernetzung. Dazu findet man immer wieder Blogs von betroffenen Familien, die von ihrer „Reise“ berichten und Hilfestellung geben. Ganz wichtig: Sich nicht entmutigen zu lassen.