Ein Interview mit der Buchautorin Patricia Cammarata von „Raus aus der Mental Load-Falle“ über die Frage, wie man den Mental Load in einer Beziehung gerecht verteilen kann und welche positiven Effekte dies mit sich bringt.
BoB: Was ist Mental Load?
Cammarata: Mental Load kann man frei übersetzen als die „Last des Drandenkens“. In der freien Wirtschaft nennt sich das Projektmanagement. Zuhause bedeutet es, dass es eine Person gibt, die für Haushalt und Familie unabhängig von der eigenen Erwerbstätigkeit alle Fäden zusammenhält, an alles denkt und die Verantwortung dafür trägt, dass der Alltag funktioniert.
BoB: Ich würde behaupten, fast jede Frau und Mutter hat mittlerweile von dem Begriff Mental Load gehört. Aber wissen Männer was Mental Load ist?
Cammarata: Nicht unbedingt. Der Fokus vieler Männer liegt auf anderen Themen außerhalb der Familie.
BoB: In deinem Buch schreibst du, dass Mental Load auch etwas mit unserer Sozialisierung zu tun hat. Warum?
Cammarata: Weil die gesellschaftlichen Rollenerwartungen uns das von klein auf mit auf den Weg geben: Mädchen/Frauen sind gut im Kümmern. Ihnen wird das mit in die Wiege gelegt. Sie sind deswegen zuständig für Kinder und Haushalt. Sie können natürlich auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber die Hauptverantwortung für die Familie liegt bei ihnen. Jungs/Männer lernen das Pendant: Sie sind verantwortlich für das Finanzielle. Im Privaten sind sie, sofern es sich um „modern eingestellte Partner“ handelt, bestenfalls Zuarbeiter. Sorgen bedeutet in dem Fall v.a. für das Finanzielle zuständig zu sein.
BoB: Nun wissen wir, was Mental Load ist und woher er kommt. Die viel wichtigere Frage ist aber: „Wie kann man sich in einer Beziehung den Mental Load teilen“?
Cammarata: Indem man konkret sichtbar macht, was alles unter Mental Load fällt. Man setzt sich als Paar gemeinsam hin und listet mal auf, wer wann an was denkt und wer was macht. Dabei zeigt sich schnell, dass viele ToDos wie Eisberge sind.
Während der Mann die Aufgabe „Wocheneinkauf erledigen“ übernimmt, ist der Weg dorthin unsichtbar und wird von der Frau übernommen: Sie überlegt, was es zu Essen geben soll, sie schaut in die Vorratsschränke, was fehlt, sie weiß, welche Gerichte die Kinder mögen, sie übernimmt die Verantwortung, dass es nicht nur Pizza und Pommes, sondern auch Salat, Gemüse und Obst gibt, sie weiß, was bald abläuft, was ersetzt werden muss, wann spätestens nachgekauft werden muss etc.
Das Ergebnis all dieser Abwägungen ist die fertige Einkaufsliste. Es wird auch klar – selbst wenn sich Paare ToDos gut aufteilen, die Last, daran zu denken und etwas zu initiieren, daran zu erinnern, das liegt immer noch hauptsächlich bei den Frauen.
BoB: Es ist also nicht damit getan, Aufgaben zu delegieren?
Cammarata: Nein. Delegieren macht unter Umständen sogar noch mehr Arbeit. Man kreiert ja schöne kleine, bequeme ToDo-Pakete, initiiert sie, erinnert an deren Umsetzung, hält sie also nach. Viele Frauen bekommen dadurch oft das Gefühl, dass es schneller erledigt ist, wenn sie es selbst machen. Daher kommen ja so „lustige“ Sprüche wie: „Liebe Frauen, wenn ein Mann sagt, er repariert das, dann repariert er das. Man muss ihn nicht alle 6 Monate daran erinnern!“
Auf der anderen Seite spielt sicherlich auch die deutsche Familienpolitik eine entscheidende Rolle. Im Vergleich zu skandinavischen Ländern beispielsweise, hat Deutschland noch viel Aufholarbeit zu leisten. Nach wie vor wird in Deutschland das Alleinverdienermodell steuerlich begünstigt und Eltern werden nur im ersten beziehungsweise in den ersten beiden Lebensjahren vom Staat finanziell unterstützt.
BoB: Wie würde also eine Art Punkteplan aussehen, um den Mental Load zu reduzieren?
Cammarata: Zuallererst sollte man natürlich mal die ToDo-Liste durchschauen und nicht immer fragen: Wie schaffe ich das alles? Wie kann ich Prozesse weiter optimieren? Man muss sich fragen: Warum mache ich das? Ist es wirklich nötig? Geht das nicht einfacher? Wenn man die ToDo-Liste ausgemistet hat, kann man sich fragen, wer für welche Themen zukünftig die Verantwortung übernimmt. Ältere Kinder können z.B. schon sehr gut eingebunden werden und für ihre Themen selbst sorgen.
Wenn man einen Partner hat, dann empfiehlt es sich, mit ihm gemeinsam jede Woche zu planen und Themen zu vergeben, um die sie/er sich kümmert. Man bespricht dann die Mindestanforderung („Das Kind muss am Montag um 9 Uhr einen Plan haben, wie das Homeschooling für die kommende Woche aussieht“) und dann kann sich der Partner selbst überlegen, wie er das umsetzen will. Wenn es verbummelt wird oder etwas schief geht, ist der/die Verantwortliche auch der/die, der es wieder in Ordnung bringt. Da darf dann nicht der Partner einspringen, der es sonst immer macht.
BoB: Oft wird behauptet, dass gerade Frauen einen anderen Anspruch an Sauberkeit haben und Männer den Dreck oder die anfallenden Aufgaben erst gar nicht sehen. Was hältst du von diesem Vorurteil?
Cammarata: Das ist ja nur begrenzt ein Vorurteil. Denn wie oben schon gesagt: Frauen lernen, dass sie diejenigen sind, die für den Haushalt zuständig sind. Kommt also jemand zu Besuch und die Wohnung ist schmutzig, dann denkt diese Person sehr wahrscheinlich nicht: „Mensch, der Peter, der hat‘s ja wieder schleifen lassen“, sondern „Also die Andrea, die hat das hier ja offenbar nicht so im Griff.“ Dementsprechend ziehen sich Frauen diesen Schuh ungefragt an. Und natürlich haben viele Frauen einen Erfahrungs- und Kompetenzvorsprung wenn sie jahrelang alleine verantwortlich sind.
Da hilft eben nur über Erwartungen zu sprechen: Die eigenen an sich und die, die der Partner hat oder nicht hat und dann muss man hinterfragen: Warum ist das wichtig, wie können wir gemeinsam einen Standard erreichen, der für uns beide ok ist. Da müssen beide umlernen. Der eine lässt los und der andere macht mehr.
BoB: Im Buch sprichst du darüber, dass ein geteilter Mental Load noch mehr positive Effekte mit sich bringt, als die offensichtliche Entlastung. Welche sind das?
Cammarata: Die Männer werden präsenter im Privaten. Das ist gut für die Kinder. Wenn sie zwei gleichwertige Bezugspersonen haben, hat das positive Effekte auf die emotionale, kognitive und soziale Entwicklung. Auch den Vätern tut es gut, sich nicht mehr als Elternteil zweiter Klasse zu fühlen. Außerdem bekommen die Kinder vorgelebt: Kümmern kann sich jede/r. Und sie erfahren, dass es viele Wege nach Rom gibt. Die Mama macht es so, der Papa so und beides führt zu dem Ergebnis „leckeres Abendessen“ oder „entspanntes Ins-Bett-bringen.“
Wo Frauen im Privaten entlastet werden, haben sie übrigens auch wieder Kapazitäten, sich im Beruflichen einzubringen und wenn man aktiv an diesem Gleichgewicht arbeitet, dann muss der Mann am Ende auch nicht die finanzielle Verantwortung alleine tragen. Die Frauen helfen dann nicht beim Geld verdienen, sie verdienen einfach die Hälfte und ermöglichen einem Mann dann auch, viel leichter einem familienunfreundlichen Arbeitgeber zu sagen: „Vielen Dank, aber so nicht.“ Insgesamt steigt bei beiden Partnern die Lebenszufriedenheit und das bringt auch wieder Energie für das Paarleben.
Über die Autorin
Patricia Cammarata ist Psychologin und Bestseller-Autorin. Im deutsch-sprachigen Raum ist sie Pionierin in Sachen »Mental Load«. Ihr 2018 auf dem Female Future Force Day gehaltener Vortrag »Warum endet die Gleichberechtigung so oft mit der Geburt des ersten Kindes? Was Mental Load damit zu tun hat« hat so große Wellen geschlagen, dass sich seitdem viele mit dem Thema beschäftigen. Für ihren Blog dasnuf gewann sie zahlreiche Preise, ihre Podcasts Mit Kindern leben und Nur 30 Minuten werden von mehreren Tausend Menschen gehört. Mit ihren Kindern und ihrem Partner lebt sie in Berlin.
Das Buch erscheint im Beltz Verlag und kostet 17,95 Euro.
Titelfoto by Pexels.