Susanne Mierau befasst sich in ihrem Buch „NEW MOMS FOR REBEL GIRLS“ mit den Themen geschlechtsspezifische Erziehung und Gleichberechtigung in der Erziehung von Kindern unterschiedlichen Geschlechts. Wir konnten Sie in einem Interview zu den Hintergründen befragen.
Geschlechtsspezifische Verhaltensmuster
Gibt es denn bereits bei Babys oder Kleinkindern typische geschlechtsspezifische Verhaltensmuster oder sind diese durch Erziehung und den Umgang in der Gesellschaft zugeschrieben?
Das ist schwer zu beantworten. Schon mit dem Wissen um die Intimorgane des Fötus (durch Ultraschall oder Bluttest), bilden wir Erwartungshaltungen und Annahmen über das Kind aus. Die Neurowissenschaftlerin und Psychologin Dr. Daphna Joel erklärt in ihrem Buch daher auch, dass es das „weibliche Gehirn“ und das „männliche Gehirn“ nicht gibt. Viele von uns haben zwar den Hype um Bücher wie „Warum Frauen schlecht einparken und Männer nicht zuhören“ erlebt, aber die Neurowissenschaft gibt da mittlerweile ganz andere Hinweise.
Dr. Joel erklärt, dass es unmöglich ist, zu bestimmen, ob ein Verhalten angeboren oder durch Erfahrung erworben ist. Auch die Neurobiologin Prof. Dr. Lise Elliot bestätigt das in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie wirklich?“ und erklärt, dass es durchaus angeborene Unterschiede gibt in Hinblick auf Sprachfertigkeit, Aktivitätsniveau, Hemmung, Aggression und auch soziale Wahrnehmung, aber die angeborenen Faktoren nur leichte Tendenzen sind, die das Verhalten beeinflussen, aber nicht festlegen.
Geschlechtsspezifische Identitätsentwicklung
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wir Erwachsenen die Identitätsentwicklung unserer Kinder bereits dadurch beeinflussen, wie wir mit ihnen sprechen, wie wir Konflikte begleiten oder welche Spielmöglichkeiten wir zur Verfügung stellen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wenn wir ein Kind haben, dem wir aufgrund seiner Intimorgane ein bestimmtes Geschlecht zuweisen, geht damit oft auch einher, dass wir bestimmte Angebote machen, die wir aufgrund unserer gesellschaftlichen Prägung für dieses Kind als angemessen empfinden. Beispielsweise bekommen Mädchen oft eher Spielsachen geschenkt, die rund um den Care-Bereich angesiedelt sind: Babypuppen, um die sie sich kümmern sollen, Spielküchen, um Essen zuzubereiten, kleine Bügelbretter, Schrubber, niedliche Hunde oder vielleicht noch ein Ärzt*innenköfferchen.
Jungen hingegen bekommen technische Spieldinge, wilde Monsterfiguren, Waffen, Schnitzmesser und Sportspielzeug. Auch unsere Kleiderauswahl ist unterschiedlich: Schon in jungen Jahren ist Mädchenkleidung enger, damit weniger bewegungsfrei, Hosen haben weniger Taschen, Shirts verniedlichende Aufdrucke, während Jungen Kleidung haben, die Bewegungsfreiheit ermöglicht und eher Aufdrucke zeigt, in denen es um Abenteuer geht. Jungen dürfen dementsprechend auch wilder sein „Jungs sind eben so!“, während Mädchen schneller erklärt wird, sie sollen nicht so zickig sein, wenn sie ihre Meinung sagen und sich mit anderen streiten. Dafür dürfen Jungen weniger emotional sein, sollen Stärke zeigen.
Geschlechtsspezifische Werbung in den Medien
Die Geschlechterrollen werden nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch durch Medien befeuert. Gerade wurde in Spanien ein Verbot für sexistische Werbung für Spielzeug, sprich die Darstellung von Mädchen in »diskriminierender oder herabwürdigender« Weise in der Werbung, verboten.
Was sagen Sie dazu? Sollte das in Deutschland auch verboten werden?
Es gibt ja schon lange den Werbemelder von Pinkstinks, der sich mit sexistischer Werbung allgemein beschäftigt, die wir ja noch immer an vielen Stellen in unserer Gesellschaft finden. Überhaupt ist das Thema alles andere als neu: Schon in den 70er Jahren gab es Diskussionen um sexistische Werbung. Ein allgemeines Verbot sexistischer Werbung wäre durchaus sinnvoll.
Anmerkung: manche deutschen Städte wie Stuttgart oder München haben ja bereits Regelungen gegen (generell) sexistische Werbung getroffen. Leider fehlt es hier noch immer an einer bundesweiten Regelung.
In Ihrem Buch öffnen Sie die Augen für Diskriminierung von weiblich gelesenen Personen. Welche Arten der Diskriminierung von Mädchen und Frauen wiegen aus Ihrer Sicht am schwersten?
Ich denke nicht, dass man eine solche Aussage treffen kann. Gewalt und Diskriminierung treffen immer auf individuelle Personen und sollten aus deren Blickwinkel betrachtet werden.
In unserer noch immer zu großen Teilen patriarchal geprägten Gesellschaft spielen nach wie vor Mütter eine wichtige Rolle in der Kindererziehung. Viele Ihrer Ausführungen in Bezug auf die bindungsorientierte Erziehung finden sowohl auf Töchter als auch auf Söhne Anwendung. Warum ist es aus Ihrer Sicht trotz allem wichtig, ein besonders Augenmerk auf die Mutter-Tochter-Beziehung zu legen?
Ich denke nicht, dass es wichtig ist, ein besonderes Augenmerk auf die Mutter-Tochter-Beziehung zu legen. Auch die Vater-Tochter-Beziehung ist wichtig, die Mutter-Sohn-Beziehung, die Vater-Sohn-Beziehung,… gerade in Bezug auf feministische Erziehung müssen alle in den Blick genommen werden. Da Mütter mehr Care-Arbeit aktuell noch übernehmen und auch in der vergangenen Generation übernommen haben, haben sie im Erziehungsalltag einen großen Einfluss, weshalb ich mich in diesem Buch auf diesen Teilbereich fokussiert habe.
Eine letzte persönliche Frage: Mein Sohn (3 Jahre) rief neulich nach dem Kindergarten lauthals „Jungs gegen Mädchen, Jungs gegen Mädchen“. Auf meine Frage hin, was das denn für ein Spiel sei und in welchem Zusammenhang das gerufen wurde, antwortete er nur „das rufen wir immer wenn wir vom Spielplatz heimgehen“. Ich hatte bei diesem Ausruf ein Störgefühl, wusste aber auch nicht so recht wie damit umgehen. Was hätten Sie getan?
Das macht jetzt eigentlich ein weiteres großes Thema auf, nämlich Konkurrenz statt Kooperation unter Kindern, die Aufspaltung in Gruppen etc. – damit beschäftige ich mich unter anderem in meinem nächsten Buch.
In solchen konkreten Situationen beim Gehen vom Kindergarten ist oft nicht genug Raum, um solche Themen zwischen Tür und Angel zu besprechen, aber jenseits davon in einer ruhigen Minute ist es wert, im Gespräch, vielleicht auch mit einem Bilderbuch, darauf nochmal genauer einzugehen.
Vielen Dank für das Interview. Weitere Einblicke in Susanne Mieraus Buch „NEW MOM FOR REBEL GIRLS“ findest du in unserem Beitrag Gleichberechtigung in der Erziehung.