Allein in der frühen Schwangerschaft, das bedeutet bis zur 24. Schwangerschaftswoche, erleben 10-20 % der Schwangeren einen Abort. Auch in weiter fortgeschrittenen Schwangerschaften kann es zu Fehlgeburt oder gar einer stillen Geburt kommen. Verlieren Eltern ihr Kind während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt, spricht man von Sterneneltern bzw. einem Sternenkind. Generell wird das Thema Fehlgeburt oder stille Geburt selten thematisiert. Deshalb ist es auch wenig erstaunlich, dass Hilfsangebote für Sterneneltern meist unbekannt sind. Welche Hilfe sich Sterneneltern bei Fehlgeburt und stiller Geburt holen können, lest ihr hier.
Als ich das erste Mal einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, war ich überglücklich. Der Gedanke, dass irgendetwas schief gehen könnte, kam mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in den Sinn. Aus Familie oder direktem Freundeskreis kannte ich keine Geschichten von Aborten oder stillen Geburten. Dass das nichts zu bedeuten hat, lernte ich nach vier Aborten und als ich mich näher mit dem Thema befasst.
Was ich außerdem lernte, wie schwierig es ist über Hilfsangebote zu erfahren und diese in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund habe ich mit Nicole Herbrechter, Hebamme, Michaela Junghänel, Psychologin und Anna Schweitzer, Physiotherapeutin gesprochen. Die drei führen gemeinsam Kurse für Sternenmütter und -eltern durch, bieten Gesprächsangebote und individuelle physiotherapeutische Begleitung speziell für die Bedürfnisse der Frauen.
Kennengelernt haben sie sich über das Netzwerk JUNO – Kölner Netzwerk für Schwangerschaft und Psyche.
Was ist ein Sternenkind?
Da die Trauer, die eine Schwangere über eine Fehlgeburt empfindet, nicht abhängig von der Schwangerschaftswoche ist, wird der Begriff "Sternenkind" bei einem Abort ab dem positiven Schwangerschaftstest über den gesamten Verlauf der Schwangerschaft bis kurz nach der Geburt angewendet.
Hilfe bei einer frühen Fehlgeburt
Bei einem frühen Abort (vor der 20. Schwangerschaftswoche) oder gar einer sehr frühen Fehlgeburt (vor der 12. Schwangerschaftswoche), werden die Frauen häufig nur durch ihre/n Gynäkologen/in betreut. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass selbst nach vier Aborten kein Hinweis auf ein Hilfsangebot gegeben wurde. Oftmals wäre aber insbesondere ein Gesprächsangebot durchaus sinnvoll und hilfreich.
Nicole Herbrechter, Hebamme aus Köln, rät daher sich bereits ab dem positiven Schwangerschaftstest eine betreuende Hebamme zu suchen, nicht erst, wie bei vielen Schwangeren üblich, nach der 12. Schwangerschaftswoche. Eine Hebamme begleitet die Frauen von Anfang an und kann auch unterstützen, wenn in der frühen Schwangerschaft Komplikationen auftreten. Sie betreut die Schwangere enger, weiß um passende Hilfsangebote und kann auch im Fall einer natürlichen kleinen Geburt begleiten, bevor es zu einem medizinischen Eingriff kommt.
Bei einer frühen Fehlgeburt sind die körperlichen Veränderungen noch nicht so ausgeprägt wie zu einem späteren Zeitpunkt. Nichtsdestotrotz kann ein Termin bei einer/einem auf Beckenboden spezialisierten Physiotherapeuten/in Sinn ergeben.
Anna Schweitzer erklärt, dass nach einem frühen Abort der Fokus darauf liegt, wieder ein gutes Gefühl und eine gute Verbindung zum eigenen Körper zu entwickeln. Viele Frauen erleben nach einer Fehlgeburt das Gefühl, der eigene Körper bzw. ein Körperteil habe nicht richtig funktioniert und damit gehe häufig eine mentale Distanzierung von diesem Körperteil aus. Mithilfe der Physiotherapie wird wieder ein positives Körpergefühl hergestellt, was wiederum wichtig ist, um in einer nächsten Schwangerschaft die Signale des Körpers wahrnehmen zu können. Darüber hinaus wir das körperliche Selbstvertrauen gestärkt.
Eine oder gar mehrere Fehlgeburten können kurz- oder langfristig die Psyche belasten. Nicht jede Frau entwickelt langfristige Symptome oder gar eine Depression, allerdings kann ein Gesprächsangebot oder der Austausch mit Gleichgesinnten über die Trauer hinweghelfen.
Insbesondere bei frühen Aborten reagiert das direkte Umfeld oft mit Unverständnis. Eine sehr frühe Schwangerschaft und der Abbruch dieser wird oftmals nicht als "Fehlgeburt" verstanden, sondern kleingeredet. Die Trauer der Schwangeren ist natürlich trotzdem real, steht aber im Widerspruch zu dem, was ihr von außen gespiegelt wird. Deshalb kann eine psychologische Beratung oder ein Austausch mit anderen Sternenmüttern Hilfe verschaffen.
Professionelle Gesprächsangebote
Für professionelle Gesprächsangebote gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:
pro familia
pro familia verfügt bundesweit über rund 180 Beratungsstellen und unterstützt Familien in diversen Fragen rund um Verhütung, Kinderwunsch, Schwangerschaft und Sexualität. Über pro familia kann ein kostenfreies Beratungsgespräch kurzfristig entweder vor Ort oder online organisiert werden.
donum vitae
donum vitae ist ein bürgerlich-rechtlicher Verein, der sich dafür einsetzt unsere Gesellschaft familien- und kinderfreundlich zu gestalten. Teil der Arbeit des Vereins ist das integrative Beratungskonzept wobei Angebote zu Themen wie Schwangerschaftskonflikt, allgemeiner Schwangerschaftsberatung aber auch Trauer und Verlust vorhanden sind. Hier sind, ähnlich wie bei pro familia, kostenfreie Beratungen vor Ort in einer der Beratungsstellen als auch online möglich.
Psychotherapie
Neben den kostenfreien Angeboten, besteht auch die Möglichkeit der Psychotherapie bei einem/einer Psychotherapeut/in. Damit die Kosten von einer Krankenkasse übernommen werden, muss es sich allerdings um eine/n approbierte/n Psychotherapeut/in mit Kassensitz handeln. Die Wartezeiten sind hier oft lang.
Spezialisierte psychologische Beratung
Nicht immer ist eine psychotherapeutische Behandlung unbedingt notwendig, manchmal können auch bereits einige psychologische Einzel- oder Paarberatungsgespräche bei einer auf diese Thematik spezialisierte Psychologin/Heilpraktikerin (für Psychotherapie) sehr hilfreich sein. Termine sind hier meist mit kürzerer Vorlaufzeit möglich, die Kosten müssen allerdings selbst getragen werden. Möglicherweise können die Gynäkologin oder die Hebamme eine Ansprechperson empfehlen. Alternativ kann eine Recherche im Internet (Juno Netzwerk, Schatten und Licht) spezialisierte Ansprechpersonen für Vor-Ort oder Online-Termine vorschlagen.
Alternativ gibt es noch die Möglichkeit von Selbsthilfegruppen, die es in einigen Städten gibt.
Angebote nach Fehlgeburt und stiller Geburt
Rückbildungskurs für Sternenmamas
Insbesondere ab der 20. Schwangerschaftswoche fangen die körperlichen Veränderungen an sich schnell zu entwickeln. Ein Rückbildungskurs nach einem Abort oder einer stillen Geburt ist daher auf jeden Fall empfehlenswert. Damit Sternenmamas nicht in einem regulären Kurs teilnehmen müssen, gibt es mancherorts bereits spezielle Angebote. Diese legen einen Fokus auf den Austausch unter Gleichgesinnten. Leider ist dies noch lange nicht so weit verbreitet, wie es wünschenswert wäre.
Nicole Herbrechter, Michaela Junghänel und Anna Schweitzer haben in Köln ein Konzept erarbeitet, das Sternenmamas rundum versorgt.
Im Rückbildungskurs, der 10 Kurseinheiten umfasst und damit länger als der reguläre Rückbildungskurs ist, ist der Austausch unter den Teilnehmerinnen vorgesehen und wird gerne angenommen. Außerdem begleitet Michaela Junghänel als Psychologin die Teilnehmerinnen. Ein anschließender Kurs, sowie bei Bedarf Einzel- oder Paarsitzungen (Vor-Ort oder Online), bei ihr, die auch unabhängig von den Kursen in Anspruch genommen werden können, bieten weiterhin Gelegenheiten des Austauschs und der Verarbeitung.
Die Rückbildungskurse bieten Platz für alle Sternenmamas, egal ob es ein früher Abort oder eine stille Geburt war. Aufgrund der unterschiedlichen, körperlichen Bedürfnisse kann es allerdings Sinn ergeben, dass Frauen mit frühen Aborten eher eine Physiotherapie in Anspruch nehmen. Im Anschluss oder parallel dazu können sie dann in den Kurs bei Michaela Junghänel einsteigen. Auch Frauen mit medizinisch induzierten Schwangerschaftsabbrüchen sind in den Kursen willkommen.
Nicole Herbrechter, Michaela Junghänel und Anna Schweitzer erkennen den Bedarf nach ihren Angeboten auch über die Stadtgrenzen Kölns hinaus. Deshalb planen sie aktuell ein erweitertes Kurs- und Beratungsangebot als Online-Format ab Ende 2022. Hier soll es neben einem Online Sternen-Rückbildungskurs zukünftig auch einen Geburtsvorbereitungskurs für Sterneneltern geben.