Die Regale im Kinderzimmer quellen über, Bausteine liegen überall in der Wohnung verteilt, im Flur stolpert man beinahe über den gelben Spielbagger. Kinder haben heutzutage Unmengen an Spielzeug. Manche Wohnungen können fast mit der Ausstattung eines Kindergartens mithalten. Wir haben uns mit Ingetraut Palm-Walter vom Verein spiel gut über ein Zuviel an Zeug, Geschenkefluten an Weihnachten und eine sinnvolle Spielzeugauswahl unterhalten.
Frau Palm-Walter, bei vielen Familien türmt sich zu Hause das Spielzeug. Ist das alles wirklich nötig?
Nein. Kinder können mit sehr wenig spielen. Das sieht man draußen, wenn sie sich stundenlang mit Naturmaterialien beschäftigen. Mit Spielzeug kann man Kinder aber fördern. Eltern sollten auf ein ausgewogenes Angebot achten, das Kindern die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten und Interessen auszutesten. Wichtig ist, dass das Spiel sich weiterentwickeln kann und nicht alles schon vom Hersteller vorgegeben wird.
Wie können Eltern beim Spielzeug am besten variieren?
Wir machen bei spiel gut verschiedene Einteilungen. Bei Bewegungs- und Wahrnehmungsspielen machen Kinder Erfahrungen mit ihrem eigenen Körper. Im Bereich Experimentieren und Gestalten steht die Erfahrung mit Materialien im Vordergrund. Bei Rollen- und Gesellschaftsspielen geht es um die Interaktion mit anderen Menschen. Eltern können darauf achten: Habe ich nur Rollenspielsachen und mein Kind hat keine Möglichkeit, mal was zu konstruieren? Oder habe ich nur Spiele, bei denen mein Kind sitzt? Dann fehlen vielleicht Anregungen für Bewegung und zum Rausgehen.
Und wie gelingt es, dass sich zu Hause nicht zu viel anhäuft?
Es ist zum Beispiel besser, sich bei Konstruktionsmaterial für einen Hersteller zu entscheiden. Und dann lieber ein bestehendes Set immer wieder zu erweitern, als fünf verschiedene Grundkästen unterschiedlicher Firmen zu kaufen. Denn das schränkt Kinder auch wieder ein. Irgendwann sind die Baumöglichkeiten erschöpft. Im Vorfeld können sich Eltern im Kindergarten oder bei Freunden ein Bild machen, mit welchem Material und welcher Konstruktionsform das Kind am liebsten umgeht. Kinder haben viel Zeug, das sie gerne wollen oder geschenkt bekommen, mit dem sie aber nie spielen. Das verstopft dann die Regale und Schubladen und macht das Spielangebot unübersichtlich.
Ingetraud Palm-Walter testet seit mehr als 30 Jahren Spielzeug für den Verein spiel gut. Sie wurde durch ihre Arbeit als Erzieherin in Kindergärten auf das Siegel aufmerksam, das eine Orientierung beim Spielzeugkauf gibt.
Inzwischen ist sie Mitglied des Vorstands und spielt noch immer gerne – am liebsten mit ihren drei Enkelkindern.
Sollte man Überflüssiges einfach wegräumen?
Nur in Absprache mit dem Kind. Man kann ja einen Teil des Spielzeugs eine Zeit lang in den Keller packen, wenn man merkt, dass sich das Kind nicht damit beschäftigt. Und wenn dann mal Langeweile herrscht, sagt man: ‚Okay, schauen wir mal, was noch im Keller ist.‘ Und nimmt dafür was anderes mit runter. So setzt man neue Spielimpulse. Außerdem: Wenn frisch aufgeräumt ist, Kinder Platz und eine Struktur in ihren Sachen haben, spielen sie auch wieder mehr.
Andersrum gefragt: Schadet zu viel Spielzeug denn?
Ja, weil die Kinder sich nicht entscheiden können, was sie spielen wollen. Sie bleiben nicht lange bei einer Sache, weil sie immer abgelenkt werden. So nach dem Prinzip: Wenn ich an einer Stelle nicht weiterkomme, kann ich einfach das nächste holen, ich habe ja genug. Das fängt übrigens schon im Babyalter an. Da sollte man auch nicht fünf und mehr Sachen gleichzeitig anbieten. Am nächsten Tag kann man schon abwechseln, nur nicht zu viel auf einmal.
Weihnachten naht. Freunde, Oma, Opa und die anderen Verwandten fragen nach den Wunschlisten. Jeder möchte gerne etwas zum Auspacken schenken. Haben Sie einen Tipp, wie man Geschenkefluten unter Baum vermeidet?
Wenn Kinder sich etwas wünschen, was eigentlich nicht sinnvoll ist, kann man auf kleinere Sachen oder Erweiterungen von bestehendem Spielzeug ausweichen. Meine Kinder wollten zum Beispiel immer einen Gameboy haben. Den haben sie aber nie gekriegt. Bei solchen Wünschen habe ich schon vor Weihnachten angekündigt, dass sie diesen Wunsch nicht erfüllt bekommen. Ich habe erklärt warum, damit die Enttäuschung an Heilig Abend nicht groß ist und das Fest verdirbt.
Die Eltern sollten steuern, was zum Beispiel von den Großeltern geschenkt wird. Wenn die gerne mehr Geld ausgeben möchten, sollen sie statt zwei Geschenke zu kaufen, lieber den Rest in einen Ausflug stecken oder aufs Konto tun. Und eigentlich möchten die Kinder nach dem ersten Päckchen gleich anfangen zu spielen. Da hilft es, die Bescherung auf mehrere Tage aufzuteilen.
Zusammenlegen ist natürlich auch eine Möglichkeit. Kleine Kinder verstehen allerdings noch nicht, dass ein Geschenk mehr gekostet hat und von mehreren Personen kommt. Da muss man lernen, sich selbst zurückzunehmen.
Sie haben drei Enkelkinder. Wie gehen Sie mit Geschenken um?
Als Großeltern hat man ja Konkurrenz – das andere Großelternpaar. Wenn die anderen immer was mitbringen, und man selbst nicht, fühlt sich das nicht gut an. Aber gerade diese kleinen Mitbringsel füllen die Schubladen und tragen zum Zuviel bei. Das Augenmerk sollte auf der Begegnung an sich liegen. Letztes Mal habe ich einfach ein Netz Clementinen dabei gehabt. Darüber sind die Enkelkinder auch hergefallen. Es gibt ein großes Bedürfnis nicht mit leeren Händen dazustehen. Da muss man manchmal kreativ werden.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Meine Enkeltochter hat sich zum Geburtstag Klavierstunden gewünscht. Ich wollte nicht nur mit einem Gutschein ankommen. Im Internet habe ich eine gebrauchte Spieluhr in Form eines Flügels gekauft. Meine Enkel spielen immer gerne mit meinen zwei Spieluhren, hatten bis dahin aber selbst keine. Wenn man den Deckel des Flügels öffnet, spielt er eine Melodie. In den Flügel habe ich dann den Gutschein gesteckt. Ein anderes Mal hatte ich mich an einem Schreibtisch zum Schulanfang beteiligt. Da habe ich aus Keksen und Marzipan einen süßen Schreibtisch gebastelt und den übergeben.
Noch mal zurück zu Weihnachten: Gibt es Spielzeugklassiker, mit denen man nichts falsch machen kann?
Zum Beispiel Ballspiele, die es in verschiedenen neuen Ausführungen gibt. Oder Lauf-Würfel-Spiele. Da gibt es nette, die nicht so teuer sind, und trotzdem viel gespielt werden. Oder man schenkt Verbrauchsmaterialien wie Farben und da mal was Besonderes wie Wachsfarben mit Gold und Silber. Puzzles kann man auch immer wieder neu entdecken.
Vielen Dank für das Interview! In unserem Beitrag Tipps für nachhaltige Weihnachtsgeschenke geben wir noch mehr Anregungen, wie sich Spielzeugfluten vermeiden lassen.
Über spiel gut
Hinter dem orangefarbenen Siegel spiel gut steht der spiel gut Arbeitsausschuss Kinderspiel + Spielzeug in Ulm. Er wurde 1954 gegründet und zeichnet gutes und pädagogisch wertvolles Spielzeug aus. Die Spielsachen werden von Kindern in Testfamilien oder beispielsweise Kindergärten erprobt und von Fachleuten wie Architekten, Ärzten, Psychologen und Designern begutachtet. Beurteilt wird beispielsweise wie umweltverträglich ein Spielzeug ist, ob es sicher ist und lange hält und ob es die Fantasie und Vorstellungsfähigkeit fördert. Spiel gut-Mitglieder besuchen die Spielwarenmesse in Nürnberg und treffen dort eine Vorauswahl an Spielzeug, das sie begutachten wollen. Hersteller können zudem direkt an den Verein herantreten.
Was ausgezeichnet wird, kann mit dem Siegel beworben werben. Außerdem listet spiel gut alle ausgezeichneten Spielsachen auf der Homepage aus. Dort kann man nach Alter, Spielart und Preis filtern und sich inspirieren lassen. Gefördert wird der Verein vom Bundesfamilienministerium. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich.