Bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung ist seit ein paar Jahren der Trend in Sachen gelingende Erziehung. Egal mit welchem Etikett wir sie versehen: „Attachment Parenting“ oder „Beziehung statt Erziehung“ – sie bedeuten alle in etwa dasselbe. Nur was ist dran an diesem Hype? Wird er vergehen wie Nenas 99 Luftballons oder bleiben als wichtiger Meilenstein wissenschaftlicher Erkenntnis?
- Beziehungen, Bedürfnisse, Erziehung: Hintergründe eines modernen Ansatzes
- Kindererziehung im dauernden Wandel
- Ein Erziehungstrend mit Potenzial?
- Der Kern von Bindungs- und bedürfnisorientierter Erziehung
- Die emotionale Achterbahn des Elternseins – und wie bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung hilft
- Den Blick dahinter wagen
- Bindungs- und bedürfnisorientiert erziehen: persönliche Erfahrungen
- Das Kleeblatt der Erziehungsstile
- Dein Weg, deine Wahl – Empowerment in der Erziehung
- Bindung & Bedürfnisse achten: alles easy?
- Erziehungsstil: Du entscheidest
Beziehungen, Bedürfnisse, Erziehung: Hintergründe eines modernen Ansatzes
Die Begriffe „Bindungsorientierte Erziehung“ und ‚Bedürfnisorientierung‘ sind aus den Diskussionen rund um das Thema Erziehung heutzutage kaum noch wegzudenken. Gerade in einer Zeit, in der Eltern mehr denn je auf der Suche nach einer liebevollen, effektiven und wissenschaftlich fundierten Erziehungsform sind, haben diese Ansätze stark an Relevanz gewonnen. Doch wie bei jedem Erziehungstrend, der aufkommt, gibt es auch hier kritische Stimmen und Fragen: Handelt es sich wirklich um einen dauerhaften und sinnvollen Ansatz, oder wird dieser Trend bald von einem neuen abgelöst?
Kindererziehung im dauernden Wandel
Es ist interessant, wie die Erziehungsmethoden sich über die Jahre hinweg ändern. In einer Generation kann das, was als „Standard“ galt, in der nächsten bereits als überholt betrachtet werden. Doch die Bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung scheint mehr zu bieten als nur einen kurzlebigen Trend. Dahinter verbirgt sich eine tiefe Anerkennung der Bedürfnisse des Kindes und ein Verständnis für die Wichtigkeit stabiler Beziehungen für seine Entwicklung.
Ein Erziehungstrend mit Potenzial?
Nur – was genau bedeutet es eigentlich, bindungs- und bedürfnisorientiert zu erziehen? Wie unterscheidet es sich von anderen Erziehungsmethoden? Und vor allem: Weshalb hat es in den vergangenen Jahren solch einen Aufschwung erlebt? Hat dieser Ansatz sogar das Potenzial, die Art und Weise, wie wir unsere Kinder großziehen, zu revolutionieren?
Der Kern von Bindungs- und bedürfnisorientierter Erziehung
Schauen wir uns also diesen „modernen Ansatz“ genauer an. Es beginnt alles mit zwei Schlüsselbegriffen: Bindung und Bedürfnis. Auf den ersten Blick könnten diese Begriffe wie Schlagworte aus einem Psychologie-Buch klingen, doch sie sind so viel mehr als das!
Bindungsorientierte Erziehung zielt darauf ab, eine sichere und verlässliche Beziehung zum Kind aufzubauen. Hier geht es nicht darum, wer die Kontrolle hat oder wer den Ton angibt. Es geht ums Zuhören, Verstehen und Reagieren. Es geht darum, dem Kind Sicherheit zu bieten und ihm zu zeigen, dass es geliebt und wertgeschätzt wird, unabhängig davon, ob es gerade einen Wutanfall im Supermarkt hat oder sein Gemüse aufisst.
Bedürfnisorientierung dagegen konzentriert sich darauf, die individuellen Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und zu erfüllen. Das bedeutet nicht, dass man als Elternteil immer „Ja“ sagt oder sich von den Launen des Kindes steuern lässt. Es geht vielmehr darum, dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen, statt sie zu übergehen oder zu ignorieren.
Dr. Sears betont, dass ein verständnisvoller und einfühlsamer Umgang mit den Bedürfnissen von Kindern zu einer harmonischen Familienatmosphäre und emotional ausbalancierten Kindern beiträgt. Dieser Ansatz ist ein wichtiger Baustein der bedürfnisorientierten Erziehung.
Jetzt fragt ihr euch vielleicht: warum dieser Rummel? Warum sind diese Ansätze so ins Rampenlicht gerückt? Nun, viele Eltern haben erkannt, dass eine Erziehung, die auf Strafen, Belohnungen und Kontrolle basiert, nicht immer das gewünschte Ergebnis bringt. Zudem zeigt die Forschung, dass Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen, in der ihre Bedürfnisse und Emotionen ernst genommen werden, oft selbstbewusster, empathischer und anpassungsfähiger sind.
Es ist wie bei einem Baukastensystem: Mit den richtigen Bausteinen lässt sich eine stabile und harmonische Familie aufbauen. Bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung bietet genau diese Bausteine. Es ist kein Wunder, dass immer mehr Eltern diesen Weg einschlagen wollen – für das Wohl ihrer Kinder und für ein harmonisches Familienleben.
Die emotionale Achterbahn des Elternseins – und wie bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung hilft
Elternschaft ist wie eine Fahrt in der Achterbahn: Heute freut man sich über das erste eigenständige Töpfchen-Erlebnis, morgen dreht alles durch wegen falsch farbiger Socken. Doch genau in diesen Momenten – wenn das Thermometer der Emotionen steigt und wir uns fragen, wo denn das Handbuch für diesen kleinen Menschen bleibt – da kann die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung ins Spiel kommen.
Den Blick dahinter wagen
Denn wenn das Kind wegen der Socken tobt, geht es oft nicht um die Socken an sich. Vielleicht spürt es gerade eine Überforderung oder hat ein anderes Bedürfnis, das unerkannt bleibt. Hier setzt die bedürfnisorientierte Erziehung an: statt das Problem oberflächlich zu „lösen“ (andere Socken anzuziehen, zu drohen etc.), versucht man, hinter das Verhalten des Kindes zu schauen. Was möchte es uns sagen? Was braucht es gerade wirklich?
Und die bindungsorientierte Erziehung hilft uns, in diesen Momenten die Nähe und Verbindung zum Kind aufrechtzuerhalten. Auch wenn wir mal den Überblick verlieren, wie es so schön heißt: „Elternschaft: Die einzige Achterbahn, bei der man gleichzeitig lacht, weint und den Überblick verliert!“ – eine stabile Bindung sorgt dafür, dass das Kind sich trotzdem sicher und verstanden fühlt. Es spürt: Auch wenn Mama oder Papa gerade überfordert sind, sind sie da und lieben mich.
Die Reise der Elternschaft ist nicht immer leicht. Sie testet unsere Geduld, unsere Resilienz und oft auch unseren Humor. Mit den Werkzeugen der bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehung haben wir etwas in der Hand, das uns hilft, diese Höhen und Tiefen mit Verständnis und Empathie zu meistern.
Bindungs- und bedürfnisorientiert erziehen: persönliche Erfahrungen
Ganz ehrlich – wenn ich für jeden Moment, in dem ich nicht wusste, wie ich mich meinem Kind gegenüber richtig verhalte, einen Euro bekommen hätte, könnte ich jetzt ein Schokoladen-Imperium gründen! Und das hätte ich während der ersten Jahre meiner Elternschaft gut gebrauchen können. Denn Schoki tröstet, mich zumindest. Und Trost benötigte ich zu dieser Zeit oft. Wovon ich rede? Von den vielen Momenten, in denen es mir nicht gelang, mein Kind liebevoll zu begleiten, in denen ich nicht wusste, was es brauchte. Und in denen ich in die alten, überkommenen Erziehungsmuster meiner Herkunftsfamilie zurückschnellte. Und, ihr ahnt es schon, ich befinde mich in guter Gesellschaft.
Die meisten heutigen Eltern sind selbst in einem eher autoritären Umfeld aufgewachsen. Da wurde angeordnet, gedroht, ermahnt, erpresst. „Wenn du nicht aufräumst, streiche ich dir das Fernsehen!“ gehörte noch zu den harmlosen Spielarten verbaler Gewalt. Du findest das übertrieben? Na ja, unsere Gesellschaft ist derart an gewaltvolle Sprache und entsprechenden Umgang gewohnt, sodass sie uns kaum noch auffällt. Ist dir bewusst, dass eine einfache Bewertung, wie ein anderer Mensch denn sei, bereits tiefe Verletzungen auslösen kann?
Das Kleeblatt der Erziehungsstile
Die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung hat einen großen Vorteil: Sie unterstützt uns, diese Zusammenhänge zu erkennen und uns unserer eigenen Bindungsmuster bewusst zu werden. Wie bist du aufgewachsen? Was davon möchtest du an dein Kind / deine Kinder weitergeben? Mehr zu diesem Thema liest du im Artikel Paargespräche in der Schwangerschaft. Außerdem lernst du, deine eigenen Bedürfnisse wieder zu spüren.
Warum ich von Eltern-Bedürfnissen spreche, wenn es doch eigentlich um die Kinder geht? In der bedürfnisorientierten Erziehung geht es um alle Familienbedürfnisse und darum, dass sie gleichwertig nebeneinanderstehen. Ich kenne einige Mütter und Väter, die den Ansatz dieser Form der Erziehung missverstanden haben. Sie glauben, es ginge nur um die (Bindungs-)Bedürfnisse der Kinder. Dann kann es schnell passieren, dass diese Eltern unbewusst in einen antiautoritären Erziehungsstil verfallen. In diesem entscheiden die Kinder, was wann getan wird. Sie tragen die volle Verantwortung. Um dich nicht vollständig zu verwirren, habe ich dir eine Grafik erstellt, die die drei gängigsten Erziehungsstile quick & dirty erklärt. Wie bist du aufgewachsen?
Dein Weg, deine Wahl – Empowerment in der Erziehung
Eines vorweg: Elternsein ist kein Kinderspiel – das hat der vorherige Abschnitt mehr als deutlich gemacht. Gleichzeitig liegt der Schlüssel nicht darin, einen perfekten Elternteil zu mimen, sondern authentisch und reflektiert seinen Weg zu gehen. Selbstentwicklung, wie es der Psychologe und Autor Jens Corssen beschreibt, ist der beste Weg, unseren Kindern gute Eltern zu sein. Die besten, die wir sein können. Die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung bietet hier eine hervorragende Landkarte.
Bindung & Bedürfnisse achten: alles easy?
Ja, diese Erziehungsweise kann herausfordernd sein, insbesondere wenn eigene Kindheitsprägungen und -erfahrungen im Weg stehen. Allerdings sind ihre Vorteile immens. Sie erlaubt uns, uns tiefer mit unseren Kindern zu verbinden, ihre Bedürfnisse (und unsere eigenen) besser zu verstehen und zu respektieren. Das Resultat? Ein harmonischeres Familienleben und resilientere Kinder, die sich geliebt und verstanden fühlen.
Erziehungsstil: Du entscheidest
In Bezug auf die Wahl des Erziehungsstils lautet das Stichwort „Selbstbestimmung“. Keiner kennt dein Kind besser als du. Du hast die Kraft, die Erziehung zu wählen, die sich für dich und dein Kind richtig anfühlt. Und das ist pures Empowerment. Es geht nicht darum, sich sklavisch an einen Erziehungsstil zu halten, sondern sich immer wieder zu fragen: Was fühlt sich jetzt richtig an? Was braucht mein Kind? Und ebenso wichtig: Was brauche ich selbst in diesem Moment?
Zum Abschluss möchte ich dich ermutigen: Nimm dir Zeit für Selbstreflexion. Erinnere dich an deine eigene Kindheit, deine Erlebnisse und Gefühle. Dies schafft nicht nur Verständnis für dich selbst, sondern ermöglicht es dir auch, aktive Entscheidungen zum Wohl deines Kindes zu treffen. Das Kinderwohl steht hierbei im Vordergrund – und denke immer daran, dass auch dein Wohlbefinden entscheidend ist. Denn glückliche Eltern sind die Voraussetzung für glückliche Kinder.
Egal, welchen Weg du wählst, sei versichert: Du bist nicht allein auf dieser wunderbaren, chaotischen Reise namens Elternschaft.
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