Lange Zeit wurden sie nicht gehört. Jetzt melden sich immer mehr Erzieherinnen und Erzieher zu Wort und beklagen öffentlich die Zustände in Krippen und Kindergärten. Das System Kita droht zu kollabieren. Wir haben mit zwei Erzieherinnen und einem Erzieher aus Deutschland über die Situation in ihren Einrichtungen gesprochen. Der Tenor: Der „Wahnsinn“ muss gestoppt werden.
Mit folgenden Personen haben wir gesprochen:
Daniela Giebel, 39, leitet das AWO Kinderhaus Vaterstetten im Umkreis von München. Für Krippen- und Kindergartenkinder im Alter von 0 bis 6 Jahren bietet das Haus 77 Plätze an, von denen wegen Personalnot im Moment nur 62 besetzt werden können. Daniela Giebel ist selbst Mutter von zwei Söhnen (8 und 11).
Martina Breitmann, 58, leitet eine Einrichtung mit rund 200 Krippen- und Kindergartenkindern in Berlin-Marzahn. Als Verdi-Mitglied setzt sie sich bei der Aktion „SOS-Kita“ für bessere Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher ein.
Michael Seeger* leitet eine größere Einrichtung mit Krippen-, Kindergarten- und Hortkindern in Rheinland-Pfalz. Sein Team hatte Anfang des Jahres eine Überlastungsanzeige gestellt.
*Name geändert
BoB.Family: Der Begriff Kita-Krise oder Kita-Kollaps ist derzeit häufig zu hören. Was bedeutet er für Sie persönlich?
Daniela Giebel: Die Krise begleitet mich seit mindestens 15 Jahren. Wir Fachkräfte haben schon lange Alarm geschlagen, sind aber zu wenig gehört worden. Zum Teil sind wir auch mitschuldig, weil wir zu sozial waren. Wir haben das bestehende System bedient und auch mal 25 oder 30 Kinder alleine betreut. Jetzt haben wir keine Krise mehr, es ist schlimmer: Das System ist kollabiert.
Meiner Meinung nach hat Corona diese Entwicklung beschleunigt. Schon vorher wurden zu wenig Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet, wir haben in Bayern zu wenig Schulen. Die Pandemie hat viele Fachkräfte ins Grübeln gebracht, ob sie in diesem Beruf bleiben möchten. Viele haben sich leider für den Wechsel entschieden. Ich mache mir große Sorgen, weil ich sehe, was diese Entwicklung mit den Kindern und den Familien macht.
Martina Breitmann: Der Beruf macht mir unter den jetzigen Bedingungen keinen Spaß mehr. Wir sind weit entfernt von dem, was wir Erzieherinnen und Erzieher leisten möchten. Von unseren Aufgaben Bilden, Erziehen, Betreuen schaffen wir eigentlich nur das Betreuen. Und auch das mal besser, mal weniger gut. Wir tun den Jüngsten in unserer Gesellschaft Schlimmes an, indem wir ihnen die frühkindliche Bildung vorenthalten. Von pädagogischer Begleitung, von Entwicklung, von Qualitätsansprüchen kann keine Rede sein. Ich gehe als Kita-Leitung auf die Straße, weil ich wenigstens alles versucht haben will, um aus diesem Wahnsinn herauszukommen.
Michael Seeger*: Ich möchte ganz bewusst mehr Motivation für den Beruf zeigen. Heute hört man oft nur Negatives: Erzieher, die am Ende ihrer Kräfte sind, Kita-Leiterinnen, die nicht mehr können, neue Vorschriften, die unsere Arbeit erschweren. Aus dieser Stimmung müssen wir wieder herauskommen, sonst verlieren auch die anderen den Mut, weiterzumachen. Die Menschen müssen wieder Lust auf diesen Job haben.
Wie sieht die aktuelle Betreuungssituation in Ihrer Einrichtung aus?
Daniela Giebel: Im Moment sind wir auf einem grünen Zweig. Der ist allerdings recht dünn, um im Bild zu bleiben. Zwar habe ich alle offenen Stellen gefüllt, aber nicht mit idealen Besetzungen. Statt Vollzeitkräften, die fünf Tage die Woche da sind, habe ich für drei Stellen nur Teilzeitkräfte gefunden. Dadurch sind wir an manchen Tagen personell ausgedünnt. Zusätzlich Zweitkräfte einzustellen, ist finanziell nicht möglich. Trotzdem sagt der Personalschlüssel in Bayern: Alles wunderbar bei Frau Giebel im Haus. Da wird nach außen hin ein falsches Bild vermittelt. Ich setzte mittlerweile auf multifunktionale Teams, um meine Fachkräfte zu entlasten.
Ich versuche, mehr Auszubildende ins Haus zu holen. Aber für jeden einzelnen brauche ich eine super Anleitung, sonst sind das billige Arbeitskräfte. Das ist nicht Sinn und Zweck der Ausbildung. Ich arbeite mit Fachhochschulen zusammen, die einmal in der Woche jemanden schicken, der bei uns hospitiert oder ein Praktikum macht. Und ich hole mir Hilfskräfte aus anderen Berufen rein, oft Mamas.
Mir ist es wichtig, dass sie das Herz am rechten Fleck haben, alles andere müssen sie lernen. Das übernehmen wir Fachkräfte zusätzlich zu unserem Job. Diese Helferinnen und Helfer werden natürlich nicht auf die Stellen angerechnet. Aber sie entlasten uns, indem sie mit den Kindern mal ein Buch lesen, die Nase schnäuzen oder beim Essen helfen. Unser Träger gibt wahnsinnig viel Geld aus, damit hier niemand verheizt wird.
Martina Breitmann: Von 26 Mitarbeitern waren heute nur neun hier. Es gibt gerade eine große Erkältungswelle, aber viele Kolleginnen und Kollegen sind auch einfach ausgebrannt. Eigentlich fehlt mir in meiner Einrichtung das ganze Jahr über fast die Hälfte des Personals. Manchmal bekommen wir Aushilfen. Das sind aber keine pädagogischen Fachkräfte, die können nur bei der Betreuung unterstützen, aber auch das nicht in der pädagogischen Bedeutung dieses Wortes, sondern im Sinne: Aufpassen, dass den Kindern nichts passiert. In dieser Woche kann ich aufgrund der Personallage nur eine Notbetreuung für diejenigen Kinder anbieten, deren Eltern beide arbeiten.
Eine Gruppe mit 23 Kindern musste ich ganz schließen. Die Kinder, die kamen, mussten auf weniger Gruppen verteilt werden, das heißt mehr Kinder auf weniger Personal, für beide Seiten eine belastende Situation. Die Öffnungszeiten musste ich um zweieinhalb Stunden kürzen. Für die Eltern sind wir aufgrund der Personallage kein verlässlicher Partner mehr. Die fürchten um ihre Jobs, weil sie ihre vereinbarten Arbeitszeiten nicht mehr leisten können.
Michael Seeger*: Ich habe die Leitung erst vor wenigen Monaten übernommen. Die Stimmung war damals sehr negativ. Es gab viele offene Stellen, Probleme mit der vorherigen Leitung, Konflikte mit dem Träger. Bevor ich kam, wurde eine Überlastungsanzeige gestellt, weil die Fachkräfte am Limit waren und sich vom Träger nicht gesehen fühlten. Da musste etwas passieren.
Ich würde dieses Instrument auch anderen Kitas empfehlen. Eine Überlastungsanzeige ist ein Signal, ein Hilferuf und kein Schandmal. Wenn man sonst nicht gehört wird, muss man sich Gehör verschaffen. Zum Glück geht es jetzt aufwärts. Im Moment sind wir gut aufgestellt, zumindest wenn alle Kräfte da sind. Es sind zwar nicht alle Stellen besetzt, aber wir werden von einer Aushilfe und zwei Pädagogen eines externen Dienstleisters unterstützt.
Wie wirkt sich die Personalnot auf Ihren Arbeitsalltag aus?
Daniela Giebel: Wir arbeiten inzwischen mit einer Personalampel. Im roten Bereich geht gar nichts mehr. Da müssen wir die Zahl der Kinder und die Öffnungszeiten reduzieren. Orange bedeutet: Hilfe! Wer kann, soll die Kinder bitte zu Hause betreuen. Bei Gelb bieten wir noch eine normale Betreuung an. Bei Grün haben wir so viele Fachkräfte wie theoretisch vorgesehen. Um ehrlich zu sein, haben wir Letzteres nur sehr selten. Für die Eltern und uns Pädagogen gibt es keine Planbarkeit mehr. Innerhalb einer Woche kann die Personalampel von dunkelrot, auf gelb, auf grün springen. Diese Schwankungen machen allen zu schaffen. Am Montag dieser Woche herrschte bei uns im Haus Notstand.
Wegen Krankheit und Urlaub waren nur vier Fachkräfte und zwei Hilfskräfte im Haus. Für die Eltern ist das der Horror. Sie bekommen kurz nach 8 Uhr morgens die Nachricht, dass wir statt 16 Uhr schon um 14 Uhr schließen. Außerdem können nur 40 Kinder betreut werden. Ich bin ja selbst Mama und kenne beide Seiten. Die Familien müssen schon enorm viel auffangen.
Bei meinen Söhnen fiel dienstags die Schule aus. Die Nachricht erreichte uns am Abend vorher. Zum Glück konnte ich sie zur Oma schicken. Sonst hätte ich selbst nicht arbeiten können und die Situation im Kinderhaus wäre noch schwieriger geworden.
Inzwischen gibt es leider auch mal böses Blut zwischen den Eltern. Diejenigen, die ihr Kind ständig zu Hause behalten, ärgern sich über die Eltern, die ihre Kinder weiterhin in die Einrichtung schicken. Das kann ich verstehen.
Die Anzahl der Kinder ist wirklich das Letzte, woran ich rütteln möchte. Alle haben das gleiche Recht auf Bildung und Betreuung. Vielen Kindern geht es zu Hause dann ja auch nicht gut. Sie sitzen neben Mama oder Papa, die im Home Office arbeiten. Leider bleibt mir manchmal nichts anderes übrig, als eine Obergrenze festzulegen. Wenn ein Unfall passiert und zu wenig Fachpersonal im Haus war, muss ich dafür geradestehen.
Martina Breitmann: Als Kitaleitung stehe ich jeden Tag vor dem Dienstplan und versuche, die Löcher irgendwie zu stopfen. Ich muss die Kolleginnen und Kollegen, die da sind, um Überstunden bitten. Dabei weiß ich genau, dass sie eigentlich schon am Limit sind und auch bei ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leidet. Viele flüchten in Teilzeit. Das mag für sie persönlich notwendig und gut sein, verschärft aber den Personalengpass weiter.
Auch Berlin bekommt den Fachkräftemangel inzwischen zu spüren. Seit Jahren wird davor gewarnt. In Berlin kommt erschwerend hinzu, dass Auszubildende auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Dabei sind sie an zwei Tagen in der Woche in der Berufsschule und fallen als Kraft weg. Wir haben viele Kinder mit Migrationshintergrund in der Einrichtung, Kinder mit Autismus, mit Fluchterfahrungen und Traumata.
Viele sprechen kaum Deutsch und kennen die hier geltenden Regeln und Normen nicht. Ihnen allen müssen wir gerecht werden und das mit immer weniger Personal. Ich vermisse dringend eine Fachkraft für Inklusion und Integration, wir haben auch keinen Sprachvermittler. Oft arbeiten zwei Erzieher und eine Aushilfskraft mit 25 und mehr Kindern.
Michael Seeger*: Ich muss den Dienstplan immer wieder flicken. Zum Beispiel, wenn Kolleginnen oder Kollegen ihre Stunden reduzieren wollen. Im Dezember gab es eine große Krankheitswelle. Wir mussten zwei Wochen lang die Öffnungszeiten um zwei Stunden kürzen. Die Fachkräfte, die da waren, haben Überstunden gemacht. Zum Glück ist die Bereitschaft dafür in meinem Team noch vorhanden.
Wie beeinflusst die Personalnot die pädagogische Arbeit mit den Kindern?
Daniela Giebel: Wir sind ein Kernteam von sechs Fachkräften, das seit sechs Jahren zusammenarbeitet. Wir haben uns eine Haltung und ein Konzept erarbeitet, auf das ich stolz bin. Ich bin sehr wählerisch geworden, was neue Erzieherinnen und Erzieher angeht, die hier arbeiten wollen. Die Qualität soll hoch bleiben, auch wenn leider nicht immer alle Kinder betreut werden können. Wenn an einem Tag nur 40 Kinder da sind, wird mit ihnen trotzdem Apfelkuchen gebacken, es gibt ein Kreativangebot mit Wasserfarben oder eine Teestunde, in der sie einfach mal erzählen dürfen. Es kommt allerdings vor, dass wir mal Nebenräume schließen müssen, dann verteilen sich die Kinder auf weniger Angebote. Das führt zu mehr Konflikten.
Martina Breitmann: Wenn ich die letzten Monate zurückschaue, sind wir eigentlich nur noch eine Aufbewahrungsstätte. Wir können keine gute Bindung mehr zu den Kindern aufbauen. Wir müssen immer wieder Gruppen aufteilen, um überhaupt noch eine Betreuung anbieten zu können. Die Kinder wissen morgens nicht, ob sie heute ihre Freunde treffen, auf die sie sich so gefreut haben. Es fehlt an Stabilität und Orientierung. Pädagogische Angebote sind gar nicht mehr möglich. Im Grunde wird nur noch gezählt, ob kein Kind heimlich weggelaufen ist.
Michael Seeger*: Wir versuchen, die Qualität zu erhalten. Auch wenn das bedeutet, die Öffnungszeiten zu kürzen oder nur eine Notbetreuung anzubieten. So können wir den Kindern, die da sind, gute Angebote machen. Wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe, würde ich das Wohl der Kinder in Gefahr sehen. Ich hatte einmal den Fall, dass ich die Betreuungszeiten wegen Krankheitsfällen einschränken wollte. Ich habe morgens meinen Träger informiert, aber bis zum späten Nachmittag keine Antwort bekommen. Ich habe das dann auf eigene Faust entschieden, weil ich ja auch die Eltern rechtzeitig informieren muss. Da habe ich mich im Stich gelassen gefühlt.
Inwieweit fühlen sich Ihre Kolleginnen und Kollegen (über)lastet und wie wirkt sich das auf die Motivation im Team aus?
Daniela Giebel: Wir sind als Team sehr reflektiert und kennen mittlerweile unsere Stärken und Grenzen. An manchen Tagen gelingt uns das besser als an anderen. Ich merke auch, dass sich die Kolleginnen und Kollegen nach Alternativen umsehen. Viele sehr gute Leute arbeiten nicht mehr in diesem Beruf, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Montag, als wir die vielen Ausfälle hatten, das war so ein Tag, wo ich mir ehrlich gesagt auch gewünscht hätte, es wäre Freitag. Und so soll es nicht sein.
Es wäre schön, wenn man am Ende der Woche noch so viel Power hat, dass man gerne ins Wochenende geht und nicht nur schlafen möchte. Ich mache gerade eine Multiplikatorenausbildung in Hamburg. In Zukunft könnte ich mir vorstellen, nur noch tageweise als Erzieherin zu arbeiten und nebenbei als Referentin andere Einrichtungen mit Ideen in Sachen moderner Pädagogik zu unterstützen.
Martina Breitmann: Um ehrlich zu sein, denke ich manchmal daran, aufzuhören. Aber ich habe nur noch ein paar Jahre bis zur Rente, also halte ich mich notgedrungen über Wasser. Man sieht einfach kein Licht am Ende des Tunnels. Die Erzieherinnen und Erzieher, die jetzt nachkommen, die Generation Z, die wollen eine gute Work-Life-Balance haben. Die achten besser auf sich. Ich habe mitbekommen, wie junge, gute Kräfte lieber in den Schulhort gewechselt sind. Oder sie geben den Beruf gleich ganz auf.
Michael Seeger*: Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr überlastet sind. Manche wurden in Leitungspositionen gedrängt, obwohl sie sich das nicht selbst ausgesucht haben. Ich bin vom Typ her ein sehr geduldiger und sehr strukturierter Mensch. Das macht vieles einfacher. Ich versuche auch, gut mit meinen Mitarbeitern umzugehen. Wir haben die Möglichkeit, die Öffnungszeiten zu verkürzen. Das entlastet das Team. Gleichzeitig muten wir den Eltern damit eine Mehrbelastung zu. Da entstehen Emotionen, die wir auffangen müssen. Ich bin für einen offenen Dialog. Wir machen diese Maßnahmen nicht aus Spaß oder um früher Feierabend zu haben. Das muss bei den Eltern ankommen.
Was wünschen Sie sich von den Eltern?
Daniela Giebel: Ich wünsche mir vor allem Vertrauen in die Arbeit von uns Fachkräften. Wo dieses Vertrauen fehlt, sollten Eltern ehrlich prüfen, woran das liegt. Es gibt ja immer Gründe. Wir haben in unserer Einrichtung eine wahnsinnig tolle Elternarbeit. Und ich glaube, das Geheimnis ist: Bei mir kann jede Mama und jeder Papa jederzeit kommen und Fragen stellen, zum Beispiel warum wir heute früher schließen müssen. Die Eltern dürfen sich beschweren, denn hinter jeder Beschwerde steckt ein Bedürfnis nach Sicherheit. Offene Kommunikation ist mir wichtig. Dieses Erzieher-Team gegen Eltern oder Eltern gegen Erzieher gibt es hier nicht. Wir bekommen von Eltern auch mal einen Teller mit Nervennahrung hingestellt.
Martina Breitmann: Eltern können sich leider nicht mehr auf die Kita verlassen, zudem steigt ja auch bei ihnen der Unterstützungsbedarf. Sie müssten ein eigenes Netzwerk aufbauen, sich viel mehr vernetzen und sich auch mal gegenseitig unter die Arme greifen. Ich wünsche mir auch mehr Verständnis dafür, dass wir mit so wenig Personal keine Feste veranstalten oder andere Aktionen machen können. Und schlussendlich brauchen wir die Unterstützung der Eltern in unserem Engagement für bessere Arbeitsbedingungen. Sie müssen verstehen, dass wir hier im Sinne der guten Bildung für ihre Kinder ein gemeinsames Interesse haben.
Michael Seeger*: Ich wünsche mir eine Partnerschaft mit den Eltern, eine gute Kommunikation. Wir haben das Glück, einen sehr engagierten Elternausschuss zu haben, der sich viel kümmert, Anregungen gibt und Hilfe anbietet. Wir können rückmelden, was uns auf der Seele brennt.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Daniela Giebel: Es gibt wahnsinnig viele kluge Menschen und engagierte Verbände, die seit Jahren predigen, dass wir in Deutschland andere Rahmenbedingungen brauchen. Ich wünsche mir, dass die Politik auf diese Leute hört. Dass ernst genommen wird, was sie zu sagen haben. In dem Buch „Der Kita-Kollaps“ von Ilse Wehrmann steht alles drin, was man über die Kita-Krise wissen muss. In letzter Zeit wird medial mehr über das Thema berichtet. Das macht mir Mut. Jetzt muss es richtig knallen, damit die Politik wachgerüttelt wird. Ich hoffe, dass bei den Trägern, den Erziehern und den Familien noch genug Energie dafür vorhanden ist.
Martina Breitmann: Deutschland braucht dringend eine Bildungswende. Das hat die jüngste Pisa-Studie erneut deutlich gemacht. Bildung beginnt nicht erst in der Schule, die fängt bei uns an. Aber mit den jetzigen Rahmenbedingungen können wir die Kinder nicht bilden. Deshalb bin ich dafür, die Öffnungszeiten in allen Einrichtungen zu verkürzen, damit die vorhandenen Fachkräfte besser verteilt werden können und wieder gemäß ihres Arbeitsauftrages bilden, erziehen und betreuen können.
Das ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, diesen Wahnsinn zu stoppen. Der Preis dafür ist hoch. Eine Reduzierung der Öffnungszeiten trifft zuerst die Eltern und dann die Wirtschaft. Böse gesagt, wir drängen damit die Frauen zurück an den Herd. Aber zumindest für einige Jahre sehe ich keine andere Lösung. Es nützt nichts, viel Energie in die Ausbildung neuer pädagogischer Fachkräfte zu stecken, wenn die Politik es nicht schafft, dass sie länger als ein paar Monate in diesem Beruf bleiben wollen.
Michael Seeger*: Ich wünsche mir, wirklich gesehen zu werden. Ich habe selbst ein kleines Kind, das gerade in einer anderen Kita eingewöhnt wurde. Meine Frau und ich sind darauf angewiesen, dass wir unser Kind dorthin bringen können, um unseren Jobs nachzugehen. Wenn das System Kita nicht funktioniert, funktioniert auch vieles andere nicht. Eltern, die ihre Kinder früher abholen müssen, fehlen bei der Arbeit, der Arbeitgeber macht weniger Gewinn. Ich bin auch für einen Bürokratieabbau. Ich möchte mich als Leitung mehr mit der Pädagogik im Haus beschäftigen und nicht mit irgendwelchen Listen, die in Schreibtischschubladen verschwinden. Oft ist auch das Budget für Fortbildungen viel zu klein, vor allem in kleineren Häusern. Da muss man mehr Geld in die Hand nehmen.
Wie sollte Ihrer Meinung nach eine Kita aussehen, um Kinder bestmöglich zu fördern?
Daniela Giebel: Das wird in dem wunderbaren Buch „Kita Kitopia“ von Mariele Diekhof beschrieben. Eine Lektüre, die ich allen Eltern, Trägern und Fachkräften ans Herz lege. Dem Buch ist es gelungen, das in Worte zu fassen, was ich als Gefühl im Herzen und im Bauch trage. Es beschreibt eine Kita, in der man einfach Kind sein darf, in der das Spiel noch geschützt ist.
Ein Biotop, wie die Autorin es nennt. Wo Familien Planungssicherheit und Vertrauen haben. Wo gute Fachkräfte arbeiten, die ihr Tun reflektieren und sich weiterbilden. Wo Gewaltfreiheit herrscht. Wo es einen Personalschlüssel gibt, bei dem man sich als Fachkraft wirklich den Kindern zuwenden kann. Wo alle Kinder das bekommen, was sie in ihrem jeweiligen Entwicklungsfenster gerade brauchen. Leider sind wir diesem Ziel in den letzten Jahren nicht näher gekommen, egal wie sehr wir uns abgestrampelt haben. Im Gegenteil: Kitopia scheint weiter entfernt als je zuvor.
Martina Breitmann: Ich möchte einen Betreuungsschlüssel, der es ermöglicht, mit den Kindern in Kleingruppen zu arbeiten. Im Moment kommen zwölf Kinder auf eine Fachkraft. Das ist viel zu viel, um auf die unterschiedlichen Kulturen und Sprachdefizite eingehen zu können. Ich wünsche mir ein Verhältnis von 1:7. So haben wir die Chance, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und aufs Leben vorzubereiten. Ich als Kita-Leiterin benötige zudem Unterstützung für die Bewältigung der administrativen Aufgaben, damit ich mich auf meine pädagogischen Aufgaben konzentrieren kann.
Michael Seeger*: Jeder soll mit seinen Bedürfnissen, seinen Wünschen und Vorstellungen angenommen werden. Die Kinder sollen sich entfalten können. Die Erzieherinnen und Erzieher sollen Zeit für schöne Angebote haben. Die Kita soll ein Ort zum Wohlfühlen sein. Wir müssen die Flexibilität haben, Räume so umzugestalten, dass sie den individuellen Bedürfnissen gerecht werden. Manche brauchen Ruhe, andere wollen sich bewegen, wieder andere Rollenspiele machen.
Foto oben: Dragos Gontariu/Unsplash