Unruhe, Konzentrationsschwäche, impulsive Handlungen – diese drei Hauptmerkmale zeichnen die Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts)störung, auch als ADS bzw. ADHS bekannt, aus. Sie zählt laut dem Bundesministerium für Gesundheit zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Doch was verbirgt sich genau dahinter und kann AD(H)S auch schon im frühen Kindesalter auftreten? Wir werfen einen genauen Blick auf ADS und ADHS bei Säuglingen und Kleinkindern im Besonderen.
Das Bundesministerium für Gesundheit gibt an, dass „etwa 2 bis 6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter krankhaften Störungen der Aufmerksamkeit und an motorischer Unruhe leiden.“ Jungs sind häufiger von ADHS betroffen, Mädchen oftmals eher vom Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.
ADS und ADHS – was verbirgt sich dahinter?
Es gibt die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) mit und ohne Hyperaktivität. ADS und ADHS unterscheiden sich also genau in diesem Merkmal: Kinder, bei denen ADS diagnostiziert wurde, „fallen nicht durch störendes Verhalten auf, sondern sie haben vorrangig Probleme beim Lernen und können ihre Interessen meist nicht sozial angepasst durchsetzen“, wie Dr. med. Helga Simchen im Vorwort ihres Buches „ADS. Unkonzentriert, verträumt, zu langsam und viele Fehler im Diktat“ schreibt. Das führt dazu, dass die Diagnose häufig erst spät gestellt wird.
Im aktuellen Diagnoseschlüssel der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft werden die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen eingeteilt in:
- Mischtyp
- Vorwiegend unaufmerksamer Typ
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ
Symptome ADS
Betroffene Kinder neigen zu Flüchtigkeitsfehlern – in der Schule, aber auch bei alltäglichen Aufgaben –, und sie können beim Spielen oder beim Erledigen ihrer Aufgaben selten über einen längeren Zeitraum aufmerksam bleiben. Sie wirken verträumt, scheinen manchmal nicht zuzuhören, lassen sich leicht ablenken. Sich lange auf etwas zu konzentrieren, fällt ihnen schwer und sie lehnen oft Aufgaben ab, die eine länger andauernde geistige Anstrengung erfordern. Sie neigen zudem zu Vergesslichkeit und dazu, Dinge, die sie für den Alltag benötigen, zu verlieren. Kinder mit ADS regen sich schnell auf, sind gekränkt und weinen oft. Sie fühlen sich ungeliebt und missverstanden, haben oft Ängste und Schuldgefühle.
Die Kinder verfügen in der Regel über gute bis sehr gute Intelligenz, kommen dennoch im Unterricht schlecht mit. Das führt häufig zu Ängsten, Albträumen und vermindertem Selbstwertgefühl. Sehr intelligenten Kindern gelingt es, die Beeinträchtigung über Jahre zu kompensieren und ihr Umfeld merkt oft nicht, dass sie täglich an ihre Grenzen gehen müssen, um die gleichen Leistungen zu erbringen, wie andere.
Symptome ADHS
Leiden Kinder zusätzlich an einer Hyperaktivitätsstörung, haben sie häufig einen starken Bewegungsdrang und können schwer still sitzen. Auch ein ruhiges Spielen oder Arbeiten fällt ihnen schwer und sie sind oft ungeduldig. Außerdem reden sie häufig exzessiv und unterbrechen andere beim Sprechen. Ihre starke Impulsivität kann mitunter auch in aggressivem Verhalten münden. Das Zuhören fällt ihnen schwer, ebenso Dinge zu organisieren und sich langfristig zu konzentrieren.
Sobald die von ADHS betroffenen Kinder in die Schule kommen, fallen sie oft stark durch ihre Unruhe auf. Sie kippeln, trommeln, stehen auf und laufen durchs Klassenzimmer. Stillsitzen fällt ihnen oft enorm schwer. Diese Art der Hyperaktivität legt sich oftmals im (jungen) Erwachsenenalter, allerdings äußert sie sich dann oftmals als innere Unruhe und Rastlosigkeit.
Welche Ursachen kann ADHS und ADS haben?
Laut aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse liegt beim Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom eine „Funktionsstörung im Stirnbereich und einiger Nervenzentren, mit denen das Stirnhirn in Verbindung steht“ vor. Das Gehirn von Kindern, bei denen ADS diagnostiziert wurde, verbrauchen kaum Zucker, auch wenn es arbeitet. Stoffwechsel anregende Mittel aktivieren diese Zentren, damit sie wie bei Nichtbetroffenen funktionieren.
Genetische Veranlagung spielt bei AD(H)S ebenfalls eine große Rolle; auch Komplikationen sowie Rauchen und Alkoholverzehr während der Schwangerschaft können ADS und ADHS bei Säuglingen und Kleinkindern begünstigen. Falsche Erziehungsmethoden führen wohl nicht zu AD(H)S, verschlechtern aber unter Umständen den Verlauf der Aufmerksamkeitsdefizitstörung.
ADS und ADHS bei Säuglingen und Kleinkindern
Bereits im Säuglings- und Kleinkindalter können Betroffene Besonderheiten zeigen, wie Dr. Simchen in ihrem Buch schreibt. Dazu zählen:
- Motorische Auffälligkeiten wie Robben, anstatt Krabbeln
- Mundmotorik ist auffällig, z. B. beim Trinken; die Kinder sabbern viel
- Verzögerte Sprachentwicklung
- Häufiges Kritisieren im 2. Lebensjahr
- Wenig Kontakt zu gleichaltrigen Kindern, spielen häufig allein, meiden gemeinsame Unternehmungen im Kindergarten
- Unmotiviertes Weinen
Die Kinder
- wirken ängstlich und verunsichert,
- tun sich schwer, Rad fahren und Schwimmen zu lernen,
- können sich schwer lange konzentrieren, Daueraufmerksamkeit stellt eine große Herausforderung für sie dar,
- gliedern sich ungern in die Gruppe ein im Kindergarten,
- binden sich sehr eng an eine Freundin, einen Freund, oftmals haben sie auch keine weiteren Freundschaften.
Im Säuglingsalter eine AD(H)S-Diagnose zu stellen, ist nicht sicher möglich. Anhaltendes Schreien, Probleme beim Schlafen und Füttern sowie allgemeine Unzufriedenheit können im Babyalter auf eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung hindeuten. Allerdings können diese Symptome auch andere Gründe haben.
Zuverlässig diagnostizieren lässt sich AD(H)S erst ab dem Vorschulalter. Kleinkinder, die von der Störung betroffen sind, neigen zu Lustlosigkeit beim Spielen und es fällt ihnen schwer, sich allein zu beschäftigen. Sie sind oft unruhig und durchlaufen die Trotzphase deutlich intensiver als nichtbetroffene Kinder. Beim Basteln passieren den betroffenen Kindern häufiger Unfälle, da ihre Fein- und Grobmotorik nicht so gut ausgeprägt ist, wie bei Gleichaltrigen, die keine Aufmerksamkeitsdefizitstörung haben.
Wichtig zu wissen ist, dass die Symptome bei jedem Menschen anders ausgeprägt sind und sie auch nicht immer auf AD(H)S zurückzuführen sind. Eine sichere Diagnostik ist daher wichtig.
Diagnose und Therapie von ADS und ADHS
„ADS ist eine Persönlichkeitsvariante, die von Kindheit an die Entwicklung prägt: Zu deren Vorteil, wenn man frühzeitig aktiv gegensteuert, zu deren Nachteil, wenn man dem ADS hilflos und unverstanden ausgeliefert ist“ schreibt Dr. Simchen im Vorwort ihres Buches. Deswegen ist es wichtig, das Syndrom frühzeitig diagnostizieren zu lassen.
Eltern, die erste Symptome bei ihrem Kind bemerken, sollten sich gemeinsam an einen Facharzt wenden. Im Rahmen der Diagnose wird die Entwicklungsgeschichte des Kindes betrachtet, es wird neurologisch und organisch untersucht und Motorik, Intelligenz, Sozialverhalten, Steuerungs- und Leistungsfähigkeit werden geprüft. Die Ärzte betrachten zudem mögliche Defizite, ebenso wie besondere Fähigkeiten des Kindes.
Die Kernsymptome des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms müssen für mindestens sechs Monate in einer Ausprägung vorliegen, die deutlich erkennbar macht, dass sich das Kind von Gleichaltrigen unterscheidet. Außerdem muss das Kind in mindestens einem Lebensbereich psychosozial beeinträchtigt sein. Dann erst sind die Kriterien für eine Diagnostik erfüllt und das Kind wird auf AD(H)S untersucht. Im Rahmen der Untersuchung werden andere Erkrankungen ausgeschlossen. Zusätzlich kommen Tests und Fragebögen zum Einsatz.
Für Eltern, Lehrkräfte und andere wichtige Personen im Umfeld des Kindes ist es wichtig, zu verstehen, dass das Verhalten des Kindes auch andere Ursachen haben kann und nicht alle automatisch von einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung betroffen sind.
Weitere Informationen
Im Internet gibt es viele hilfreiche Informationsseiten zum Thema ADS und ADHS bei Säuglingen und Kleinkindern, aber auch bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Hier eine Auswahl der entsprechenden Websites:
- https://www.zentrales-adhs-netz.de/infos-zu-adhs/allgemeine-infos-zu-adhs/
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/kindergesundheit/aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
- https://www.adhs.info/fuer-eltern-und-angehoerige/adhs-was-ist-das/
- https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/das-solltest-du-ueber-adhs-wissen/