Verreisen ohne die Familie, und zwei oder drei volle Tage Me-Time genießen, das gönnt sich unsere Autorin einmal im Jahr. Warum sie als Mutter eine solche Auszeit empfiehlt, was ihre Familie dazu sagt und was sie anderen Leuten auf die Frage antwortet, ob sie ihre Kinder denn gar nicht vermisst, verrät sie in diesem Artikel.
Es war eine Woche vor Weihnachten und ich war total erschöpft. In diesem Jahr waren wir von Hamburg ins Grüne gezogen, hatten ein Haus renoviert und neue Kitaplätze für unsere Kinder gesucht – es dauerte Monate, bis wir welche fanden. Meine Tochter war etwas über ein Jahr alt, mein Sohn mitten in der Autonomiephase. Und ich hatte das starke Gefühl: Ich muss hier mal raus. Endlich einen Gedanken zu Ende denken, endlich mal wieder eine ganze Nacht durchschlafen.
Darf man als Mutter einfach so wegfahren?
Allein, dass wir uns diese Frage stellen, zeigt schon, wie wenig wir Müttern zugestehen, finde ich. Denn schließlich sind auch Mütter nur ganz normale Menschen mit Bedürfnissen, nach Pausen, nach einem Spaziergang in unserem Tempo und danach, einmal in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Und manchmal muss es eben eine etwas längere Pause sein, in der wir wieder auftanken, Kraft sammeln, zurück zu uns finden. Davon profitieren schließlich auch unsere Kinder, wenn sie statt einer schnell genervten wieder eine fröhliche Mutter haben.
Drei Tage am Meer – ohne alle anderen
Der Regen sprühte auf die Frontscheibe meines Autos und im Radio lief „Drei Tage am Meer“ von Annenmaykantereit, als ich schließlich aufbrach. Schon in dem Moment, als ich unsere kleine Stadt hinter mir ließ und auf die Autobahn fuhr, spürte ich förmlich, wie meine Anspannung nachließ. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich immer auf Abruf stand, bereit für den nächsten Wunsch oder das nächste Problem meiner Kinder. Die Muskeln gespannt wie eine Raubkatze vor dem Sprung, vierundzwanzig Stunden am Tag.
„Und mir ist mittlerweile klar, das waren Jahre ohne Pause. Und eigentlich weiß ich genau, was ich brauche. Eigentlich weiß ich genau, was ich brauche. ‚Ne Pause. Drei Tage am Meer. Und ich weiß wieder, wer ich bin. Drei Tage am Meer. Und ich weiß wieder, wer ich bin. Ohne alle andern“, sang der Frontsänger Henning May und ich fühlte mich so sehr verstanden.
Das Gefühl, einmal nichts tun zu müssen
In dem kleinen Ort Bergen aan Zee in den Niederlanden hatte ich ein Hotelzimmer für mich gebucht. Es war außerhalb der Saison und deshalb besonders günstig. Bei der Ankunft bekam ich sogar ein Upgrade auf ein größeres Zimmer. Ein Mitarbeiter des Hotels trug meinen kleinen Koffer die Treppe hinauf. Was für ein Luxus, einmal nicht selbst schleppen zu müssen. Als ich allein war, legte ich mich auf das Bett, streckte die Arme und Beine aus und genoss einfach nur das Gefühl, nichts tun zu müssen. Da war niemand, der mir eine Frage stellte, niemand, der mich am Ärmel zog, kein Geschrei, kein Bedürfnis, nur das Bett, ein kleiner Tisch und ein Fenster mit Meerblick.
Am ersten Tag machte ich einen langen Strandspaziergang, atmete die salzige Seeluft ein und beobachtete die Wellen, die sich am Ufer brachen. Ich setzte mich ins Strandcafé, das immer noch geöffnet hatte und jetzt für Weihnachten dekoriert war, mit einem Tannenbaum und bunten Lichterketten. Ich bestellte eine Tomatensuppe und einen Kaffee und las ein Buch. Löste in aller Ruhe ein Kreuzworträtsel.
Niemand würde einen Vater fragen, wo seine Kinder sind
Ob meine Kinder mich nicht vermissen würden, hatte mich vor der Abreise eine Bekannte gefragt. „Aber sie sind doch bei ihrem Vater“, hatte ich entgegnet. In guten Händen, bei ihrem anderen Elternteil, der sich Urlaub nehmen und mir zum Glück diese Auszeit ermöglichen konnte. Der gesehen hatte, wie erschöpft ich war und mich gebeten hatte, mir diese Zeit für mich zu nehmen. Für den ich natürlich dasselbe tun würde. „Und du, vermisst du nicht deine Kinder?“, fragten sie. Um ehrlich zu sein, nein, dachte ich zumindest zu Beginn. Zu sehr genoss ich es, einmal meinen Kaffee trinken zu können, bevor er kalt war, in den Nachrichten auch die Hintergrundberichte zu lesen, statt nur die Schlagzeilen zu überfliegen und endlich mal wieder ohne Unterbrechung einen Gedanken zu Ende denken zu können.
Ich dachte an meinen Mann, der beruflich nach Tokio gereist war, als unser Sohn ein halbes Jahr alt war. Und danach zum Oktoberfest, mit seinen Freunden. Niemand hatte ihn gefragt, wo seine Kinder waren, alle hatten ihm die Auszeit gegönnt. Noch immer legen wir an Mütter und Väter unterschiedliche Maßstäbe an. Dabei sollte doch nur zählen, dass man sich als Paar einig ist und was sich für die eigene Familie richtig anfühlt. Mütter haben keine Superkräfte und brauchen genau so Me-Time wie Väter.
Die Freude des Wiedersehens
Am Abend lag ich allein im Bett und spürte meine Brüste drücken. Meine Tochter war noch nicht ganz abgestillt. Ich spürte meinen Körper nach ihr rufen. Ich schlief wenige Stunden so tief wie lange nicht und erwachte dann zur gewohnten, frühen Zeit. Ich pumpte Milch ab und wunderte mich, wie viel davon noch übrig war.
Am nächsten Morgen aß ich im Frühstücksraum des Hotels am Buffet, neben einem großen Tannenbaum. Am Nachbartisch saß eine Familie. Die Kinder stritten sich die ganze Zeit und ich genoss es, einmal in Ruhe zu Ende essen zu können, ohne Brote für andere schmieren zu müssen. Wieder ging ich zum Strand und kurz in die Stadt, kaufte Souvenirs für meine Familie. Doch im Laufe des Tages setzte das Vermissen ein. Eigentlich hatte ich noch eine weitere Nacht gebucht. Doch am Abend packte ich schließlich meinen Koffer und reiste früher ab als geplant. Auch das ist ok, habe ich für mich gemerkt. Für meine erste Reise allein als Mutter reichten zwei Tage für mich aus. Ich fuhr die halbe Nacht mit dem Auto nachhause und schloss in den Morgenstunden meine Kinder in die Arme.
Auf die eigenen Bedürfnisse achten
Seit damals verreise ich mindestens einmal im Jahr allein. Ich war bereits in Hamburg und in Amsterdam. Meistens reicht mir ein Wochenende, um wieder aufzutanken, manchmal brauche ich etwas mehr Zeit. Es hilft, dass ich bereits früher allein gereist bin, als Studentin, mit dem Rucksack durch Südamerika. Ich habe kein Problem damit, allein in Restaurants zu essen oder in ein Museum zu gehen. Natürlich könnte ich auch mit einer Freundin oder meiner Schwester verreisen. Oder mit meinem Mann, wenn unsere Kinder so weit sind, dass sie bei ihren Großeltern übernachten mögen. Aber ich genieße an der Me-Time besonders das Gefühl, bei meinen Bedürfnissen einmal keine Kompromisse schließen zu müssen.
Ich kann spontan entscheiden, worauf ich Lust habe und diesen Luxus weiß ich als Mutter sehr zu schätzen. Indem ich auf mein Bedürfnis nach Erholung achte, kann ich meinen Kindern ein gutes Vorbild sein. Auch als Mutter oder Vater muss man nicht immer funktionieren, sondern darf sich hin und wieder eine Pause nehmen.
Wie wichtig das ist, zeigt auch eine forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse aus dem März 2024. Der Studie zufolge fühlen sich 62 Prozent der Eltern in Deutschland mit minderjährigen Kindern häufig oder sogar sehr häufig gestresst. Mütter sind besonders stark betroffen, so das Ergebnis der Umfrage, da sie in der Regel den größten Teil der Care-Arbeit und des Mental Loads übernehmen und niemals richtig zur Ruhe kommen. Während der Pandemie hat sich die Belastung noch verschärft. „Damit es gar nicht erst zu einem Burnout und zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen kommt, sollten Mütter und Väter ihre Bedürfnisse frühzeitig hinterfragen und diesen auch genug Wichtigkeit einräumen“, schreiben die Studienverantwortlichen. Kurz gesagt: „Wer ausgebrannt ist, kann auch der Familie nichts mehr geben.“ Regelmäßige Auszeiten können helfen, das Burnout-Risiko zu reduzieren. Sie tragen letztlich auch dazu bei, dass wir wieder besser auf unsere Kinder eingehen können.
Ein gutes Netzwerk hilft
Damit das allein Verreisen überhaupt möglich ist, braucht es ein Umfeld, das einen unterstützt. Einen Partner, eine Freundin oder Großeltern, die in dieser Zeit das Kind betreuen. Dieses Glück hat nicht jeder, auch das ist mir bewusst. Und nicht jeder Mensch kann das Alleinsein genießen, verreist lieber mit Freundinnen und auch das ist ok.
Mir haben die kleinen Auszeiten für mich gezeigt, dass ich noch immer die Frau von früher bin, nicht nur Mutter. Ich bin froh, dass ich heute beides sein kann und möchte keine dieser beiden Rollen missen. Meine Kinder genießen die Zeit mit ihrem Vater und ich kann mich darauf verlassen, dass sie in guten Händen sind. Wenn ich zurückkomme, ist unsere Freude jedes Mal groß. Auch das ist das Schöne daran.