Wohl kaum etwas prägt unser Familienerleben so wie unsere Geschwister. Als Eltern steht man recht schnell vor der Frage, ob dem ersten Kind ein zweites folgen soll. Und falls ja, welchen Altersabstand die beiden haben sollen. Über den richtigen Zeitpunkt für ein Geschwisterchen kann man sich endlos Gedanken machen. Wir haben uns angeschaut, was die Forschung sagt und was für oder gegen einen kurzen Altersabstand sprechen kann. Außerdem berichten drei Mütter, wie sie den Abstand ihrer Kinder individuell erleben.
Familie – bedingt planbar
Geht es um die Familienplanung, haben wir heute eine Fülle an Möglichkeiten. Verhütungsmethoden wie Pille oder Kondom verringern die Zahl ungewollter Schwangerschaften. Und regt sich der Kinderwunsch, helfen Ovulationstests dabei, das optimale Zeitfenster zu ermitteln, damit sich möglichst schnell der zweite Strich auf dem Schwangerschaftstest einstellt. Diverse Apps versprechen, den Zyklus im Blick zu behalten und die Chancen auf eine Schwangerschaft zusätzlich zu erhöhen.
Eigentlich eine ziemlich bequeme Ausgangslage. Bleibt die Frage nach dem perfekten Zeitpunkt für ein weiteres Kind. Folgende Gedanken können eine Rolle spielen: Ist mein Körper schon wieder bereit für eine erneute Schwangerschaft? Passt es zur Karriereplanung? Ist Platz genug im Kinderzimmer? Reicht das Geld? Hält unsere Beziehung das aus? Manche Paare beschließen, die Kinderplanung erst mal auszusetzen beziehungsweise weiter nach hinten zu schieben. Bei anderen kann ein höheres Alter der Mutter den Druck erhöhen, nicht allzu lange zu warten.
Selbst wenn sich Eltern einig sind, können eine nachlassende Fruchtbarkeit oder eine Fehlgeburt den gewünschten Zeitpunkt weiter verschieben.
Was Experten zum Altersabstand von Geschwistern sagen
Entwicklungspsychologen empfehlen einen Abstand von etwa drei Jahren. Das älteste Kind ist in diesem Fall schon recht selbstständig, die Rivalität nimmt ab und die Geschwister können trotzdem eine enge Bindung entwickeln, weil sie von ihrer Entwicklung her immer noch nah beieinander liegen.
In Deutschland herrscht dieser Altersabstand auch in vielen Familien vor. Im Schnitt liegen drei bis dreieinhalb Jahre zwischen den Geschwistern.
Wissenschaftsjournalistin und artgerecht-Autorin Nicola Schmidt verweist in „Der Elternkompass“ darauf, dass der Mindestabstand bei den meisten Naturvölkern bei 33 Monaten liege. Seien die Kinder weniger als drei Jahre auseinander, steige die Wahrscheinlichkeit für Geschwisterstreit.
Hartmut Kasten, Entwicklungspsychologe und Frühpädagoge, hat ein Buch über Geschwister geschrieben. Auch er bezieht sich auf Untersuchungen, die zeigten, dass „sich zwischen altersmäßig eng benachbarten Geschwistern mehr Aggressivität abspielt, als zwischen altersmäßig entfernteren Geschwistern“. Begründet wird dies mit Neid und Eifersucht. Plötzlich stehen dem Erstgeborenen nicht mehr die ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung zur Verfügung. Die gute Nachricht: Diese negativen Gefühle können Kasten zufolge abgemildert werden. Und zwar, wenn während der ersten beiden Lebensjahre des neuen Kindes eine Bezugsperson zur Verfügung steht, die sich besonders um das ältere Geschwister kümmert. Das kann der Vater sein, aber auch die Großmutter oder der Patenonkel.
Ein Altersabstand von ein bis zwei Jahren
Vorteile
Entwicklungsbedingt haben die Kinder schnell ähnliche Interessen und können gut miteinander spielen. Sie beschäftigen sich häufiger miteinander, als Kinder mit einem großen Altersabstand. Die Beziehung ist oft enger. Zudem kann man beide Kinder leichter mit demselben Freizeitangebot glücklich machen.
Nachteile
Hier sind die Eltern meist im Doppelpack gefordert – und das anfangs rund um die Uhr. Sie müssen das eine Kind stillen oder ein Fläschchen richten und parallel dem älteren ein Butterbot schmieren. Oft müssen beide Kinder gewickelt werden und auch das ältere benötigt noch viel Hilfe und gutes Zureden beim Anziehen. Ähnliche Interessen und Berührungspunkte fördern ein gewisses Streitpotenzial. Zudem stehen die Kinder stärker als in anderen Konstellationen in Konkurrenz zueinander. Und gerade Kinder in der Trotzphase tun sich schwer, wenn plötzlich ein jüngeres Kind die Aufmerksamkeit der Eltern streitig macht.
Familie 1: Abstand zum Geschwisterkind 18 Monate
Sabine, Mutter von einem Sohn, 4 Jahre, und einer Tochter, 2,5 Jahre
In den ersten Wochen mit zweitem Kind hatten wir keine Ausruhzeit. Mein Partner und ich waren ständig gefordert. Was das Wickeln betrifft, aber auch bei der Einschlafbegleitung. Die Nächte waren besonders hart. Wenn das Baby um 3 Uhr nachts endlich mal schlief, wachte der Große auf. Während des ersten Lebensjahres meiner Tochter konnten wir die beiden nie allein in einem Raum lassen. Mein Sohn haute oder biss die Kleine. Ob aus Eifersucht, weiß ich nicht. Man musste sie ständig im Auge behalten, das war anstrengend. Manchmal denke ich, er hat ein bisschen von dieser verwöhnenden Zeit als Kleinkind eingebüßt. In meiner Wahrnehmung war er schnell der Große. Auch der Transport stellte uns vor Herausforderungen. Mein Sohn war mit eineinhalb Jahren noch zu klein, um sich auf das Mitfahrbrett am Kinderwagen zu stellen. Im Fahrradanhänger beschwerte sich meine Tochter, weil sie zu weit von Mama und Papa weg war. Da blieb lange Zeit nur die Babytrage als Lösung. Inzwischen können wir durchatmen. Das Verhältnis zwischen den beiden ist gut, sie haben sich sehr lieb und sind sich nah. Wenn sie sich eine Weile nicht gesehen haben, sagen sie: Ich hab dich vermisst. Sie spielen gern miteinander. Allerdings wollen sie meist dasselbe Spielzeug haben, dann muss ich schlichten. Wir können alle Aktivitäten gemeinsam machen. Spielplatz oder Zoo gefällt beiden Kindern gut. Sie besuchen auch dieselbe Kita. Anfangs sogar dieselbe Gruppe. Das hat meiner Tochter die Eingewöhnung hundertprozentig erleichtert. Sie geht immer gerne dort hin. Mein Partner und ich sind froh, dass wir die Babyphasen relativ schnell und kompakt abgeschlossen haben. Wir können die Zeit jetzt genießen. Ich bin insgesamt zweieinhalb Jahre zu Hause geblieben. Im Nachhinein empfinde ich diese Elternzeit als zu lang. Ich war zu sehr raus, nicht nur aus dem Job, aus der Erwachsenenwelt. Alles drehte sich nur um Mamathemen. Vielleicht wäre ich sonst in vielen Punkten gelassener und geduldiger gewesen.
Ein Altersabstand von drei bis fünf Jahren
Vorteile
Das ältere Kind agiert bereits sehr selbstständig. Es hat erste Freunde gefunden, besucht meist einen Kindergarten und hat eigene Interessen entwickelt. Es kann auch mal kurz warten, wenn das Geschwisterchen gewickelt werden muss. Viele lassen sich gerne in die Pflege des Babys miteinbeziehen, helfen etwa beim Waschen oder reichen der Mutter eine Windel. Eifersucht und Konkurrenzkampf lassen nach. Der große Bruder oder die große Schwester haben oft eine Vorbildfunktion.
Nachteile
Je weiter die Kinder auseinander liegen, desto mehr kann die Nähe zwischen den Geschwistern abnehmen. Die Interessen gehen auseinander. Nicht immer können sie sich noch für dasselbe Spiel oder Spielzeug begeistern. Zum Teil können Eltern auf die individuellen Bedürfnisse weniger Rücksicht nehmen, etwa wenn das ältere Kind zum Sporttraining muss, während das jüngere noch Mittagsschlaf hält.
Familie 2: Abstand zum Geschwisterkind 3,5 Jahre
Katja, Mutter von einer Tochter, 4,5 Jahre, und einem Sohn, 1 Jahr
Die Geburt ihres Bruders hat meine Tochter eine ganze Weile beschäftigt. Mit ihrer Großcousine hat sie gespielt, dass sie im Krankenhaus ist und ein Baby bekommt. In der ersten Zeit zu Hause konnte sie mit dem Kleinen dann natürlich noch nicht so viel anfangen. Wir mussten sie anfangs etwas zurückhalten, weil sie ihm gegenüber unbeholfen war und ihre Kraft oft nicht richtig einschätzen konnte. Sie war aber nie eifersüchtig. Wenn sie mal kurz warten musste, war das okay. Ich habe darauf geachtet, immer in Ich-Form zu sprechen. Also nicht: einen Moment bitte, dein Bruder trinkt. Sondern: Ich stille deinen Bruder. Sie sollte ihm gegenüber keine negativen Gefühle entwickeln. Im Moment spielen die zwei gerne zusammen in einem Karton. Sie sitzen drin und malen von innen die Wände an. Oder meine Tochter zieht ihren kleinen Bruder darin durch die Zimmer. Sie bezieht ihn oft ins Spiel mit ein. Andererseits braucht sie ihren Rückzugsort. Sie besteht darauf, dass ihr Bruder nicht in ihr Zimmer darf. Die Anfangsphase mit zwei Kindern hatte ich mir, ehrlich gesagt, stressiger vorgestellt. Mein Mann und ich waren einfach schon sehr routiniert. Und die Große war recht selbstständig und konnte sich auch mal eine Stunde für sich mit einem Hörspiel beschäftigen. Vieles können wir gemeinsam unternehmen. Zoo oder Schwimmbad finden beide toll. Jedes Kind hat aber auch eine Aktivität nur für sich. Der Kleine hat Sport, meine Tochter Musik. Wir Eltern begleiten sie abwechselnd. So muss niemand zurückstecken. Abends bringen wir beide zusammen ins Bett. Der Kleine schläft meist zuerst an meiner Brust ein und dann gehen mein Mann oder ich mit ihm raus. Wir wechseln uns da strikt ab. Das andere Elternteil bleibt bei meiner Tochter, bis sie schläft. Das klappt gut. Für mich ist der Altersabstand der beiden total perfekt. Ich würde ihn nicht ändern wollen.
Ein Altersabstand von fünf Jahren und mehr
Vorteile
Das ältere Kind hat sich bereits einen eigenen Lebensbereich erschlossen. Es gibt weniger Berührungspunkte zu dem des Geschwisterchens und damit auch weniger Anlass für Streit. Eine gute Bindung kann dennoch entstehen, zum Beispiel wenn sich das ältere Kind als Beschützer fühlt und auf den kleinen Bruder oder die kleine Schwester achtgibt. Eltern können sich besser auf die Bedürfnisse des Jüngsten konzentrieren und erleben die Babyphase ganz bewusst.
Nachteile
Gespielt wird eher mit dem gleichaltrigen Freund als mit dem Brüderchen. Für die Eltern geht das Spiel aus Füttern, Wickeln und schwierigen Nächten wieder von vorne los. Das kann sich kurzzeitig wie ein Rückschritt anfühlen.
Familie 3: Abstand zu den Geschwistern 5,5 Jahre bzw. 7,5 Jahre
Christina, Mutter von zwei Töchtern, 12 und 5 Jahre, und einem Jungen, 10 Jahre
Als meine jüngste Tochter zur Welt kam, waren meine anderen beiden schon ziemlich selbstständig. Sie zogen sich allein an, gingen allein auf die Toilette und konnten auch mal warten, wenn ich mit der Kleinen beschäftigt war. Ich hatte Zeit, mich auf sie zu fokussieren. Von meinen drei Kindern war das die entspannteste Babyzeit. Die Großen waren total glücklich, noch ein Geschwisterchen zu bekommen. Sie haben sich sehr gekümmert. Vor allem meine älteste Tochter hat die Kleine umsorgt. Das war quasi ihr Baby. Mit siebeneinhalb Jahren Abstand konnte sie schon viel helfen. Heute muss ich nicht jedes Mal mit auf den Spielplatz. Die Große passt gerne auf. Wenn sie keine Lust mehr hat, klingelt sie. Ihr käme nie in den Sinn, einfach wegzugehen. Eifersucht habe ich zwischen ihnen nie erlebt. Die Älteste stichelt höchstens ein bisschen. Nach dem Motto: „Du machts ja nur was mit der Kleinen.“ Damit will sie aber eher mich ärgern. Meine ersten beiden Kinder sind nur 22 Monate auseinander, da war das anders. Wenn ich gestillt habe, hat die Große irgendeinen Blödsinn gemacht. Saß der kleine Bruder auf dem Schoß, wollte sie auch. Unsere Jüngste musste sich von klein auf anpassen. Ich konnte nicht immer Rücksicht auf ihre Schlafenszeiten nehmen oder ewig mit dem Essen warten. Wenn die anderen Fußballtraining hatten, musste sie mit. Selbst wenn sie erst vor zehn Minuten die Augen geschlossen hatte. Sie hat das gut mitgemacht. Vielleicht ist sie deshalb ein sehr pflegeleichtes Kind geworden. Die drei haben sehr unterschiedliche Interessen. Am Wochenende will das eine Kind in den Zoo, das zweite zum Fußball, das dritte wieder was anderes. Da muss man versuchen, zu kombinieren. Inzwischen können die Älteren auch mal allein zu Hause bleiben, und wir unternehmen was mit der Kleinen allein. Eigentlich wollte ich immer einen engen Altersabstand. Ich denke, für die Kinder selbst ist das schöner. Sie haben später mehr miteinander zu tun, ähnlichere Interessen und Freunde. Als Mama war das aber anstrengender. Ich bin selbst in einer Familie mit fünf Kinder aufgewachsen. Drei hatten einen engen Abstand, zwei einen größeren. Heute habe zu allen eine harmonische Beziehung. Ich glaube, das Alter spielt gar keine so große Rolle. Es kommt eher auf die Interessen und die Charaktere an, wie man zusammenpasst.
Und nun?
Es mag spannend sein, sich in der Theorie mit dem vermeintlich perfekten Altersabstand zu beschäftigen. Letzten Endes sollte die Familienplanung aber nicht davon abhängig gemacht werden. Zumal Geschwisterforscher Kasten darauf hinweist, dass der Altersabstand eben nur ein Einflussfaktor unter vielen ist. Die Geschwisterbeziehung ist auch nicht in Stein gemeißelt. Ändern sich die Lebensbedingungen und Lebenserfahrungen, kann sich die Beziehung wandeln.
Autorin Jeanette Stark-Städele zieht in ihrem Buch „Mein Geschwisterchen. Wenn das zweite Kind kommt“ ein schönes Fazit unter die Diskussion: „Bei allen Überlegungen über den idealen Altersabstand darf nicht vergessen werden, dass jedes Kind eine sehr ausgeprägte Individualität besitzt, die die Qualität der Geschwisterbeziehung in sehr viel stärkerem Maße prägen kann als der Altersabstand.“
Foto oben: Patty Brito/Unsplash