Konflikte sind in Familien keine Seltenheit. Haben Eltern jedoch häufig das Gefühl, an ihre Grenzen zu kommen, oder fallen Kinder durch anhaltendes herausforderndes Verhalten auf, dann kann man sich Hilfe suchen.
Christine Ordnung leitet das Deutsch-Dänische Institut für Familientherapie und Beratung in Berlin, nach den Grundlagen des Erziehungspapstes Jesper Juul. Im Interview verrät sie, welche Probleme Familien heute belasten und wie sie als Therapeutin helfen kann.
Familientherapeutin Christine Ordnung. Foto: Thomas Rosenthal
- BoB Family: Was sind Gründe für eine Familientherapie?
- BoB: Family: Wobei brauchen die Eltern Hilfe?
- BoB Family: Gehen Mütter und Väter unterschiedlich mit familiären Problemen um?
- BoB Family: Wie kann die Familientherapie Kindern dann helfen?
- BoB Family: Und wie helfen Sie den Eltern?
- BoB Family: Wer nimmt alles an der Familientherapie teil?
- BoB Family: Werden in der Therapie auch Probleme aus der Kindheit der Eltern besprochen?
- BoB Family: Wie werden die Kinder in die Therapie mit einbezogen?
- BoB Family: Stehen Familien heute stärker unter Druck als vor 30 Jahren?
- BoB Family: Der Druck kommt ja auch von außen, von Erziehungsratgebern und sozialen Medien. Wie können Eltern sich dem entziehen?
- BoB Family: Das heißt, irgendwo werden wir es auf jeden Fall vergeigen?
BoB Family: Was sind Gründe für eine Familientherapie?
Christine Ordnung: Auslöser für eine Familientherapie sind häufig Auffälligkeiten der Kinder. Das kann herausforderndes Verhalten zu Hause oder gegenüber den Erzieherinnen sein, oder Ärger in der Schule. Dabei sind die Kinder in der Regel nur die Symptomträger. Mit ihrem Verhalten weisen sie darauf hin, dass eigentlich die Erwachsenen Unterstützung brauchen.
BoB: Family: Wobei brauchen die Eltern Hilfe?
Ordnung: Oftmals haben sich die Eltern als Paar verloren. Sie können ihre Liebesbeziehung oder Partnerschaft nicht mehr richtig leben, weil sie all ihre Kraft und Energie in die Kinder investieren. Oder die Mütter und Väter schaffen es nicht mehr, ihre eigenen, grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen und sind sehr erschöpft. Darunter leiden dann auch die Kinder.
Viele Eltern machen sich zu viel Druck. Sie wollen die perfekte Mutter oder der perfekte Vater für ihr Kind sein und alles richtig machen. Sie selber verschwinden als Person hinter dem Idealbild, das sie glauben, erfüllen zu müssen. Kinder spüren aber, wenn ihre Eltern nicht authentisch sind und reagieren darauf.
BoB Family: Gehen Mütter und Väter unterschiedlich mit familiären Problemen um?
Ordnung: Mütter signalisieren eher nach außen, dass sie Hilfe brauchen. Väter stürzen sich häufiger in die Arbeit. Das ändert sich aber langsam. Bei uns im Institut melden sich immer häufiger auch Väter, die sich Gespräche wünschen.
BoB Family: Wie kann die Familientherapie Kindern dann helfen?
Ordnung: Indem wir den Eltern zuhören, uns für ihre Anliegen interessieren und mit ihnen gemeinsam einen zugewandten Blick auf sich selbst und ihre Familie richten. Wenn ein Kind bestimmte Verhaltensweisen zeigt, frage ich die Eltern oft auch, wie sie selber als Kinder waren. Häufig zeigen sich Parallelen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dann nicht mehr so stark auf das Kind, sondern auf die Eltern. Das ist wichtig, damit Kinder nicht die Zuständigkeit für die Anliegen ihrer Eltern bekommen. Oftmals entspannen sich Kinder, wenn sie merken: Eltern sind auch nur Menschen, mit Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen. Sie erleben ihre Eltern als Persönlichkeiten und nicht nur in den Rollen als Mutter und Vater.
BoB Family: Und wie helfen Sie den Eltern?
Ordnung: Ich kann im Gespräch erfahren, auf welche Art und Weise Eltern sich gerade überfordern oder sich selbst vergessen, und kann sie darauf hinweisen. Ein wichtiger Schritt für Eltern ist, sich einzugestehen, eigene Grenzen zu haben und die auch zu vertreten. Eltern wollen zu ihren Kindern am liebsten immer Ja sagen. Aber das ja nicht möglich.
Eltern dürfen aussprechen: Jetzt bin ich müde, ich will jetzt meine Ruhe haben. Ich habe jetzt keine Lust, zu spielen. – Wenn ich das so formuliere, dann bin ich bei mir, zeige, wie es mir geht und werde mit meinen Grenzen sichtbar. Dann kommen vielleicht Frust und Tränen beim Kind, aber das gehört zum Leben dazu. Solange das Kind nicht beschimpft wird, Vorwürfe hört oder Abwertung erlebt, nimmt es keinen Schaden.
BoB Family: Wer nimmt alles an der Familientherapie teil?
Ordnung: Für die Therapie brauche ich die ganze Familie, also alle, die unter einem Dach wohnen. Weil alle miteinander und aufeinander reagieren. Manchmal verhält sich die vierzehnjährige Tochter problematisch, das eigentliche Problem ist aber die Art, wie die Eltern mit dem kleinen Bruder umgehen. Die große Schwester macht mit ihrem Verhalten bloß darauf aufmerksam.
BoB Family: Werden in der Therapie auch Probleme aus der Kindheit der Eltern besprochen?
Ordnung: Die eigenen Erfahrungen der Eltern sind ja immer mit dabei und manchmal ist es sinnvoll, die selber nochmal anzuschauen und darüber dann ins Gespräch zu kommen.
BoB Family: Wie werden die Kinder in die Therapie mit einbezogen?
Ordnung: Die Kinder sind herzlich eingeladen, mitzusprechen, müssen aber nicht. Wichtig ist, dass sie nicht das Gefühl bekommen, während der Therapie im Mittelpunkt zu stehen. Kinder brauchen die Gewissheit, dass sie nicht verantwortlich sind, für die Stimmung in der Familie. Sie sollten die Möglichkeit haben, während der Therapiespräche auch mal aus dem Raum zu gehen. Kleinere Kinder beschäftigen sich währenddessen mit Spielen. Dabei hören sie meist sehr aufmerksam zu und reagieren auf Aussagen der Erwachsenen.
BoB Family: Stehen Familien heute stärker unter Druck als vor 30 Jahren?
Ordnung: Wir haben heute die Ganztagsbetreuung in Kitas, das ist auf der einen Seite eine Entlastung für Eltern. Auf der anderen Seite ist die gemeinsame Zeit als Familie heute stark reduziert. Kinder können kaum noch lernen, wie unser Umgang miteinander ist, wenn wir als Familie wirklich Zeit füreinander haben, ohne Stress und ohne uns auf die Nerven zu gehen.
BoB Family: Der Druck kommt ja auch von außen, von Erziehungsratgebern und sozialen Medien. Wie können Eltern sich dem entziehen?
Ordnung: Wir werden ja nicht als Eltern geboren, wir wachsen ins Elternsein hinein. Alles, was uns vorher darüber erzählt wird, kann nicht mal im Ansatz zeigen, was Elternsein in der Realität bedeutet. Diese riesige Liebe, Sorge, Verletzlichkeit.
Der Punkt ist: Alle Eltern machen Fehler, das ist ganz normal. Kein Kind geht völlig unbeschadet durch die Erziehung, auch von den besten Eltern nicht.
BoB Family: Das heißt, irgendwo werden wir es auf jeden Fall vergeigen?
Ordnung: Es kann sein, dass unsere Kinder uns in zwanzig Jahren Vorwürfe für unser Verhalten als Eltern machen. Dann können wir antworten: Wie gut, dass du mir das sagst, und es tut mir leid. Ich habe damals so entschieden, das war das Beste, was ich konnte.
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