Gleichberechtigung ist für mich als Vollzeit-arbeitende Mutter ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung. Doch müssen wir unsere Töchter anders erziehen oder eher großziehen als unsere Söhne? Diese Frage kam mir in den Sinn, als ich den Titel des neuesten Buches von Susanne Mierau „NEW MOMS FOR REBEL GIRLS“ das erste Mal las. Meine key takeaways für dich zusammengefasst.
Für eine junge Mutter eines Sohnes und einer Tochter ist es mir besonders wichtig beide Kinder gleich aufzuziehen. Ich möchte, dass beide die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sich zu entwickeln. Ich möchte meinem Sohn die Farben pink oder lila nicht versagen. Andererseits aber auch nicht meiner Tochter suggerieren, dass sie „zu wild“ sei für ein Mädchen.
Das Thema Gleichberechtigung bzw. eher Geschlechterdiskriminierung ist in unserer Gesellschaft aktuell am ehesten in der Arbeitswelt präsent. Hier werden gender pay gap oder der Wiedereinstieg von Müttern regelmäßig thematisiert. Aber natürlich wird der Grundstein dieses gesellschaftlichen Phänomens bereits viel früher gelegt – in der Erziehung unserer Kinder. Susanne Mierau wirft in ihrem Buch „NEW MOMS FOR REBEL GIRLS“ die Frage auf, wie wir unsere Töchter zu selbstbewussten, gleichberechtigten Frauen erziehen können. Und das trotz unserer eigenen, in der Regel patriarchalischen Prägung.
Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen
Mierau argumentiert, dass anhand äußerlicher Merkmale bei der Geburt eines Kindes in Mädchen und Jungen unterschieden wird. Diese Tatsache allein stellt an sich keine Hürde für ein gleichberechtigtes Leben dar. Allerdings wurden in patriarchalisch geprägten Gesellschaften weiblich gelesenen Personen bestimmte Merkmale und Aufgaben, wie zum Beispiel die Fürsorgeaufgabe, zugeschrieben. Aus anderen Gesellschaftsbereichen wurden sie sogar merklich ausgegrenzt (Geschlechterdiskriminierung).
Männlich gelesene Personen hingegen erhielten und erhalten mehr Macht und Privilegien. Entsprechend dieser Zuschreibungen wurden den Personengruppen historisch auch entsprechende Eigenschaften zugeordnet und die Erziehung orientierte sich an diesen. So wurde und wird teilweise noch immer von Mädchen erwartet, dass sie sanftmütig sind, dementsprechend auch sanft aussehen und Aktivitäten wahrnehmen, die ebenfalls diesem Bild entsprechen. Hingegen von Jungen wird Stärke und Athletik erwartet und entsprechend gefördert.
Die Spielsachen, die den beiden Geschlechtern zugeordnet werden, entsprechen ebenfalls diesem Bild. Deshalb werden Mädchen mit Puppen und Jungen mit wildem Spiel, Klettern und „Unfug machen“ assoziiert.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich die Gehirne von Jungen und Mädchen nicht maßgeblich unterscheiden. Es liegt daher nahe, dass viele unserer Verhaltensweisen und Denkmuster durch Erziehung geprägt sind.
Erwachsene beeinflussen die Identitätsentwicklung von Kindern dadurch, wie sie mit ihnen sprechen, welche Worte sie nutzen, wie sie Konflikte begleiten, welche Spielmöglichkeiten zur Verfügung stehen und welche anderen Verhaltensweisen unterstützt oder ausgebremst werden.
– Susanne Mierau, Diplom-Pädagogin, Autorin
Mierau legt also nahe, dass es in unserer Hand liegt, wie wir insbesondere unsere Töchter beeinflussen können, ein gleichberechtigteres Leben zu führen.
Wie schaffen wir es also unsere Kinder möglichst so großzuziehen, dass das Geschlecht kein normatives Ordnungssystem mehr darstellt?
Wie verhindere ich, dass ich selbst erfahrene Geschlechterdiskriminierung an meine Tochter weitergebe?
In der Generation unserer Großeltern und zu großen Teilen auch unserer Eltern, war es vollkommen normal, dass die Mutter sich um die Erziehung der Kinder kümmert. Alles, was diese Generationen über Erziehung wussten, stammte aus ihren eigenen Erfahrungen, oftmals also noch aus der Nazi-Zeit.
Wenn ich erfahren möchte, was ich meiner Tochter jetzt mitgeben kann, stellt sich unweigerlich die Frage, woher ich nehme, was ich ihr mitgeben will.“
Susanne Mierau (Diplom-Pädagogin, Autorin) in NEW MOMS FOR REBEL GIRLS
Das obenstehende Zitat verdeutlicht ganz gut, dass es uns schwerfällt in der Erziehung unserer Kinder nicht in „alte Muster“ zu verfallen, sprich auf unsere eigenen (kindlichen) Erfahrungen zurückzugreifen. Dies wissend, gibt es heute viele Mütter, die auf keinen Fall die Erziehung ihrer eigenen Mutter replizieren möchten. Deshalb setzen sie sich mehr denn je unter Druck. Die Angst etwas falsch zu machen, sitzt tief. Dies führt dazu, dass Frauen ihre eigene Rolle mit extrem hohen Erwartungen verknüpfen, denen sie versuchen gerecht zu werden.
Gerade emotionale Narben, Bindungs- und Beziehungsnarben machen uns besonders anfällig für die diffusen Ängste“
Susanne Mierau (Diplom-Pädagogin, Autorin) in NEW MOMS FOR REBEL GIRLS
Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass wir uns mit unserer eigenen Vergangenheit beschäftigen. Wir müssen verstehen, warum wir in bestimmte Verhaltensmuster verfallen und wie wir dem entgegenwirken können.
Bindungsorientierte Erziehung
Die heute vorherrschende Pädagogik basiert auf der bindungsorientierten Erziehung. Insbesondere in den ersten drei Lebensjahren baut das Kind enge Beziehungen zu Erwachsenen auf. Das geschieht, indem es die Erfahrung macht, dass die Bezugsperson die Bedürfnisse des Kindes zuverlässig erkennt, richtig interpretiert und darauf reagiert. Dies gilt gleichermaßen für alle Kinder, unabhängig vom Geschlecht.
Susanne Mierau weist allerdings darauf hin, dass es geschlechtsspezifische Erfahrungen gibt, die die Bindungsentwicklung beeinträchtigen können. Wenn beispielsweise von Mädchen erwartet wird, dass diese rücksichtsvoll, nicht zu fordernd, anpassungsfähig, ruhig und genügsam sein sollen, werden Gefühle wie Wut, Aggression und Selbstbestimmung eher unterdrückt.
Es ist also wichtig, sich zu verinnerlichen, dass die Individualität des Kindes im Vordergrund stehen sollte. Nicht das Geschlecht und diesem zugeordnete Attribute.
Mädchen stärken für die Gleichberechtigung
Susanne Mierau betrachtet in „NEW MOMS FOR REBEL GIRLS“ über verschiedene Lebensphasen hinweg, wie wir Mädchen stärken können. Angefangen vom Babyalter, über die Kleinkindzeit, Vorschul- und Grundschulalter sowie Pubertät zeigt sie auf welchen Einflüssen unsere Töchter ausgesetzt sind und wie wir sie unterstützen können. Sie gibt Tipps wie wir Resilienz, Selberwertgefühl und Widerspruchsrecht vermitteln.
Fazit
„NEW MOM FOR REBEL GIRLS“ ist nicht ausschließlich für Mütter von Töchtern geschrieben. Es finden sich auch viele allgemeingültige Aussagen zu (bindungsorientierter) Erziehung. Weiterhin richtet sich auch ein Kapitel an „New Dads“. Das Buch ist in der Tat sehr vielschichtig – es bietet jede Menge Hintergründe zum Status quo. Es geht auf das Thema Gewalt gegen Frauen ein und verdeutlicht, dass wir trotz aller Fortschritte noch keine Gleichberechtigung in der Erziehung haben. Neben der reinen Theorie finden sich viele Beispiele aus der Praxis. Zuletzt stellt es jungen Eltern ein Glossar der nötigen Begrifflichkeiten zur Verfügung. Alles in allem ist es ein guter Einstieg in das Thema gleichberechtigte Erziehung.
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