Viele Kitas wenden Inklusion bereits an. Auch die zweijährige Tara besucht eine integrative Kita in Oldenburg. Sie selbst hat keinen Förderbedarf. Ich habe Tara einen Tag lang begleitet und zeige euch, wie alle Kinder von dem Konzept profitieren.
- Oldenburg Kita ist Vorreiter in Sachen Inklusion
- Für Inklusions-Konzept nehmen Eltern lange Wege auf sich
- Inklusion bei den Räumen in der Kita
- Inklusion fördert die Selbstständigkeit aller Kinder
- Inklusion über Therapien in der Kita
- Fachkräftemangel trifft Inklusions-Kitas besonders hart
- Entscheidungshilfe: Das spricht für eine Kita mit gelebter Inklusion
Oldenburg Kita ist Vorreiter in Sachen Inklusion
Eine Hochebene aus Buchenholz, bunte Turnmatten und ein Plakat mit den Regeln der Gebärdensprache: Das ist die Marienkäfergruppe der Kita Philosophenweg in Oldenburg. Elf Kinder spielen, toben und basteln hier gemeinsam. Drei davon haben einen Inklusionsplatz, die anderen sind sogenannte Regelkinder, das bedeutet, sie haben keine diagnostizierte Behinderung.
Auch die zweijährige Tara (Name geändert) geht hier seit einem Jahr zur Kita. Die Einrichtung unter der Leitung von Astrid Brundiers blickt auf eine jahrelange Erfahrung im Bereich Inklusion zurück. Im Mai 1970 entstand hier die erste Gruppe, damals noch ausschließlich für Kinder mit einer geistigen Behinderung.
Ende der Siebzigerjahre bot die damalige Leiterin erste Spielkreise an, für behinderte und nichtbehinderte Kinder aus der Nachbarschaft. Mit Erfolg: Die Kinder blühten auf, spielten und lernten gemeinsam. Aufgrund der positiven Erfahrungen gründete die Kita im Jahr 1981 die erste integrative Gruppe – noch vor den Modellversuchen in Niedersachsen.
Für Inklusions-Konzept nehmen Eltern lange Wege auf sich
Taras Kita-Tag beginnt mit dem Morgenkreis. Die Kinder sitzen auf Kissen, singen „Eine kleine Schlange wird früh am Morgen wach“ und „Zehn kleine Zappelmänner zappeln hin und her“. Die Kinder dürfen die Lieder selbst aussuchen – anhand von Karten auf denen ein entsprechendes Bild zu sehen ist.
„In unserer Kita ist es normal, verschieden zu sein“, beschreibt Leiterin Astrid Brundiers das Leitbild der Einrichtung. „Die Kinder erfahren bei uns: Jedes Kind ist einzigartig, jedes Kind hat Interessen und Ressourcen, die gemeinsam genutzt werden können.“ Bei den Eltern kommt das gut an – auch bei denen mit nichtbehinderten Kindern.
Einige Familien nehmen morgens weite Wege auf sich, um ihr Kind zu genau dieser Kita zu bringen. Auch Tara wohnt außerhalb des Einzugsgebiets. Ihr Vater bringt sie jeden Morgen im Lastenrad, zwanzig Minuten hin, zwanzig Minuten zurück. „Das ist es uns wert“, sagt er.
Inklusion bei den Räumen in der Kita
Während Integration bedeutet, ein Kind in das bereits bestehende System einer Kita zu integrieren, geht Inklusion noch einen Schritt weiter. Im weitesten Sinne bedeutet es, Kitas bereits barrierefrei anzulegen, sodass alle Kinder sich dort frei bewegen und teilhaben können. Es bedeutet auch, alle Kinder möglichst gleich zu behandeln, unabhängig von Religion, Herkunft, Armut, Geschlecht oder Fluchterfahrung.
In der Kita Philosophenweg gibt es verschiedene Gruppen. In den integrativen Gruppen spielen und lernen Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam. In den heilpädagogischen Gruppen werden Kinder mit Autismus betreut, die einen besonderen Förderbedarf haben.
Auf den offenen Fluren und draußen auf dem großen Spielplatz begegnen sich alle Kinder. Auch den großen Turnraum, den Therapieraum und den Ruheraum dürfen sie gemeinsam nutzen, mal allein und mal in der Gruppe.
Inklusion fördert die Selbstständigkeit aller Kinder
Nach dem Morgenkreis holen Tara und die Kinder, die es selber können, ihren Rucksack und setzen sich an den Frühstückstisch. Einige Kinder benötigen Hilfe beim Essen, weil sie es aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung (noch) nicht selber schaffen. Erzieherinnen unterstützen sie dabei.
Grundsätzlich gilt jedoch: Jedes Kind darf alles alleine ausprobieren. Hilfe wird angeboten, aber nicht aufgezwungen, damit die Kinder so selbstständig werden, wie es ihnen möglich ist. Auch beim Mittagsschlaf gehen die Erzieherinnen so gut es geht auf die Kinder ein. Wer nicht müde ist, darf wachbleiben und im Gruppenraum spielen.
Inklusion über Therapien in der Kita
Nach dem Frühstück geht es für einige Kinder in den Therapieraum. Eine Ergotherapeutin hilft den Kindern mit Förderbedarf gezielt mit Bewegungsübungen. Das entlastet auch ihre Eltern, die sich nicht um externe Therapieplätze am Nachmittag kümmern müssen. Doch auch Tara und die anderen Kinder dürfen den Raum nutzen und darin turnen. Ein Ruheraum dient Kindern mit Autismus als Rückzugsinsel.
Am Nachmittag holen die Eltern die Kinder wieder ab. Tara stürmt ihrer Mutter in die Arme. Dann zieht sie die Mutter zum Basteltisch, um ihr das Bild zu zeigen, das sie gerade mit Fingerfarben gemalt hat. Bei ihren Freundinnen und Freunden macht Tara keinen Unterschied, sie spielt mit allen Kindern gerne.
Fachkräftemangel trifft Inklusions-Kitas besonders hart
Mehr als ein Drittel der Kitas in Deutschland ist bereits integrativ, wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen. Langfristiges Ziel in Deutschland ist es, ab dem Jahr 2028 alle Kitas inklusiv zu gestalten, um möglichst allen Kindern die Chance auf Bildung und Teilhabe zu ermöglichen.
Doch ohne ausreichend Erzieherinnen wird das nur schwer möglich sein. Auch die Oldenburger Kita Philosophenweg spürt den Fachkräftemangel. Vor kurzem mussten zwei heilpädagogische Gruppen des Kindergartens zusammengelegt werden. Es mangelt an Personal, wie überall in Deutschland. Das stellt Eltern wie Kitas vor große Herausforderungen.
Taras Vater ist dankbar, dass es in ihrer Gruppe bisher vergleichsweise selten zu Ausfällen kam. Auch mit dem Konzept der Kita ist er zufrieden. „Wir sehen, dass Vorurteile hier gar nicht erst entstehen“, sagt er. „Und das finden wir als Eltern sehr schön.“
Entscheidungshilfe: Das spricht für eine Kita mit gelebter Inklusion
Ist eure Kita vor Ort inklusiv oder überlegst du, dein Kind an eine integrative Kita anzumelden? Folgende Überlegungen können dir bei deiner Entscheidung helfen.
- Kitas in Deutschland haben ganz unterschiedliche Träger, von Caritas bis Kirche. Grundsätzlich kann jede Kita Inklusion anbieten und nach den Wertvorstellungen handeln. In der Praxis kann das aber ganz unterschiedlich sein, denn einheitliche Regeln gibt es bisher nicht.
- Am Tag der offenen Tür, bei einem persönlichen Gespräch mit der Kitaleitung oder in Gesprächen mit den Eltern kannst du erste Eindrücke gewinnen
- Schau dir auch die Webseite der Kita an und das Konzept, das sie dort beschreiben. Wie setzen sie Inklusion im Kitaalltag um? Welche Werte vertreten sie? Gibt es konkrete Schwerpunkte, wie Sprachförderung?
- Stelle Fragen: Wie motiviert wirken die Erzieherinnen? Wie läuft die Kommunikation mit den Eltern ab? Wie ist der Betreuungsschlüssel und wie läuft die Eingewöhnung ab?
- Auch der „Index für Inklusion“ kann dir bei deiner Entscheidung helfen. Englische Pädagoginnen und Pädagogen haben ihn entwickelt, um Qualitätskriterien für inklusive Kitas zu definieren. Auf der Webseite der Aktion Mensch kannst du den Index kostenlos herunterladen.
- Gut umgesetzt, können alle Kinder von Inklusion profitieren. In Zeiten von Fachkräftemangel und Kitaplatzmangel stehen Einrichtungen jedoch vor vielen Herausforderungen. Vorhaben zur Inklusion können unter Umständen nicht so umgesetzt werden, wie von der Einrichtung geplant. Am Ende entscheidet auch dein Bauchgefühl – und natürlich, ob überhaupt ein Kitaplatz frei ist.
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