Auch Berliner Familien leiden unter einer schwierigen Betreuungssituation. In vielen Einrichtungen wird händeringend Personal gesucht. Seit Anfang Oktober haben rund 2600 Erzieherinnen und Erzieher eine Gefährdungsanzeige unterschrieben. Andererseits steht die Stadt im bundesweiten Vergleich zumindest auf dem Papier noch recht gut da. Seit einigen Jahren ist hier die Kinderbetreuung sogar kostenlos.
Für unsere Serie Kitakrise haben wir mit Lars Békési, Geschäftsführer des Verbands der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger, über diese Widersprüche gesprochen. Wir fragen nach, warum er sich Sozialarbeiter*innen in den Kitas wünscht und die Gebührenbefreiung für ein Problem hält.
Herr Békési, in Berlin fehlen laut Bertelsmann Stiftung rund 17.000 Kitaplätze. Wie geht Ihr Verband mit dieser großen Lücke um?
Die Zahlen der Bertelsmann Stiftung sind überholt. Mitte Oktober wurde der Kita-Entwicklungsplan des Landes Berlin vorgestellt, der auf einer neue Bevölkerungsprognose basiert. Demnach sprechen wir nur noch von 2000 fehlenden Plätzen. Zumindest in der Theorie.
Und wie steht Berlin tatsächlich da?
Das subjektive Gefühl ist immer das richtige. Aus Elternsicht fehlen viel mehr Betreuungsangebote. Es gibt einerseits die betriebserlaubten Plätze, für die eine Einrichtung ausgelegt ist. Da sind wir gut aufgestellt. Anders sieht es bei den belegbaren Plätzen aus, also den Plätzen, die eine Kita tatsächlich vergeben kann, um kindeswohl konform arbeiten zu können. Aufgrund des Fachkräftemangels können wir bei weitem nicht so viele Kinder aufnehmen, wie wir gerne möchten. Da gibt es ein Delta und darüber müssen wir reden.
Im Vergleich zu anderen Städten und Kommunen ist die Lage in Berlin trotzdem eher entspannt – zumindest auf dem Papier. Was hat die Stadt richtig gemacht?
Seit 2006 gibt es freie, gemeinnützige Kita-Träger in Berlin. Sie stellen 89 Prozent der Kitaplätze zur Verfügung, kommunale Einrichtungen fangen dagegen nur 11 Prozent auf. Das ist einmalig in Deutschland. In keinem anderen Bundesland ist der Anteil der freien Träger so hoch. Und weil wir so viele kleine und mittelgroße freie Kita-Träger haben können wir den Eltern ein vielfältiges Angebot unterbreiten. Außerdem war Berlin als Metropole schon immer ein Magnet für Menschen. Da wir schnell wachsen, musste sich die Stadt mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz entsprechend aufstellen. Wir haben schon lange multiprofessionelle Teams mit vielen Quereinsteigern. Sie machen etwa ein Drittel der Fachkräfte aus.
Welche Erfahrungen hat Ihr Verband mit Quereinsteigern gemacht?
Darunter fallen viele unterschiedliche Professionen. Da gibt es zum einen die Menschen, die eine berufsbegleitende Erzieher*innen-Ausbildung machen, also neben der Schule bereits an einigen Tagen in der Woche in den Kitas mitarbeiten. Dann gibt es Native Speaker, Logopäden oder Ergotherapeutinnen. Die Liste ist lang. Wir als Träger betreuen die Quereinsteiger sehr eng und intensiv. Sie bekommen viele Schulungen, in denen wir das Bildungsprogramm erklären. Für die Native Speaker zum Teil auch auf Englisch, weil wir viele bilinguale Kita-Träger haben, bei denen sie später eingesetzt werden sollen.
Wir freuen uns über den kanadischen Musikpädagogen oder die französische Kunsttherapeutin, sie sind eine echte Bereicherung für unsere Einrichtungen. Dazu kommen Quereinsteiger, die wir aus anderen Ländern anwerben. Die sind meist schon sehr gut ausgebildet – oft haben sie einen Bachelor- oder Masterabschluss – und müssen nur noch für das deutsche System geschult werden. Wir beschäftigen auch einige kaufmännische Verwaltungskräfte. Sie sorgen dafür, dass die Pädagog*innen mit den Kindern arbeiten können und nicht irgendwelche Excel-Tabellen ausfüllen müssen.
Lars Békési hat Jura und BWL studiert. Er ist Vater von drei Kindern und seit 2017 Geschäftsführer des Verbands der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger. Die Mitglieder des Verbandes betreiben 245 Einrichtungen in Berlin und schaffen dort für 12.030 Kinder ein tägliches Betreuungs- & Bildungsangebot.
Foto: VKMK (c)VKMK2023
Was macht Ihnen Sorgen?
Es werden zu wenig Fachkräfte ausgebildet. In Berlin gibt es 60 unterschiedliche sozialpädagogische Fachschulen. Doch viele bekommen ihre Klassen für staatlich anerkannte Erzieher*innen nicht mehr gefüllt und müssen einige schließen. Es gibt schlicht zu wenig Menschen, die diesen Job machen möchten. Das ist auch verständlich, weil es nur negative Presse gibt. Da überlegt man sich als junger Mensch zweimal, ob man so einen Beruf ergreift. Dazu kommt ein Wettbewerb zwischen Kita und Hort. Die Pädagog*innen gehen lieber in den Hort, weil sie dort besser verdienen. Ab 2026 wird es zudem einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz geben. Dafür braucht es noch mehr Pädagog*innen. Zum Teil werden die aus dem Kitabetrieb kommen. Der Druck wird also weiter steigen.
Die landeseigenen Berliner Kitas werben mit einem umstrittenen Video für mehr Erzieher*innen. Unter dem Titel „Berlin braucht Erziehung“ werden vermüllte Ecken in der Stadt gezeigt. Finden Sie das gelungen?
Aus Marketingsicht ist es tatsächlich gelungen. Immerhin sprechen wir jetzt darüber. Man hat deutschlandweit Aufmerksamkeit erzeugt. Ich persönlich halte von dem Video aber nichts. Die Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin werden dadurch nicht nachweislich mehr Mitarbeiter*innen finden, halten und integrieren können. An den Arbeitsbedingungen ändert sich ja nichts. Um es hart zu sagen: Da wurde wieder mal Geld in die Luft geschossen. Geld, das man an anderer Stelle sicherlich besser hätte einsetzen können.
Sie sprechen sich dafür aus, Sozialarbeiter*innen in die Kitas zu holen. Warum?
Viele Kinder kommen mit einem Rucksack voller Probleme in die Einrichtungen. Es gibt immer mehr Familien mit sozialen Problemen, die Hilfe brauchen. Ich finde, man sollte mit der Unterstützung nicht erst in der Schule beginnen, sondern schon in den Kitas. Der Kita-Sozialarbeiter ist die Schnittstelle zwischen dem klassischen Pädagogen, dem Jugendamt, dem Familienzentrum, der Schule und den Eltern. So können niederschwellige Hilfen angeboten werden. 2
Wir wollen dafür eine weitere Personalstelle schaffen. Hier soll also nicht ein Pädagoge zusätzlich den Kita-Sozialarbeiter spielen. Das bringt zwei Vorteile: Die bestehenden Systempädagog*innen werden erstens entlastet. Zweitens gibt es einen Mehrwert für Kinder und Eltern. Wir können die Kinder besser auf die Schule vorbereiten, Sprachbarrieren abbauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand durchs Raster fällt, ist deutlich geringer.
Seit 2018 sind die Kitas in Berlin für alle Kinder beitragsfrei. Für viele Eltern klingt das traumhaft. Doch Sie würden diesen Schritt am liebsten wieder rückgängig machen. Warum?
Ich sehe das in der Tat sehr kritisch. Was nichts kostet, ist auch nichts wert. Die Beitragsfreiheit ist für mich nur ein Werbegeschenk an die gutverdienen Eltern gewesen. Heute fehlt das Geld im System. Die bereitgestellten Steuermittel reichen nicht aus, um kostendeckend zu arbeiten. In Berlin müssen Eltern aktuell monatlich 23 Euro als Anteil fürs Mittagessen bezahlen und maximal 90 Euro für pädagogische Zusatzleistungen. Diese starre Obergrenze für die pädagogischen Zusatzleistungen hat das Bundesverwaltungsgericht übrigens kürzlich mit einer bemerkenswerten Klarheit kassiert.
Aber auch so reden wir von sehr überschaubaren Summen im Vergleich zu anderen Städten, wo eine Betreuung schon mal mehrere hunderte Euros im Monat kostet. Gleichzeitig wünschen sich die Eltern mehr Personal und ein vielfältiges pädagogisches Angebot für ihre Kinder. Viele treten in Fördervereine ein und zahlen freiwillig zum Beispiel hundert oder zweihundert Euro im Monat, um ihre Einrichtung zu unterstützen. Die Beitragsfreiheit kann gerne beibehalten werden, aber dann muss man sich auch trauen, den Steuerzahler*innen eine ausreichende Finanzierung zuzumuten. Für die Landesgesetzgeber ist Bildung aber offensichtlich immer noch ein guter Spartopf.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme?
Neben der Aufgabe, viele weitere Fachkräfte zu gewinnen, haben wir sehr hohe Gewerbemieten, die nicht gedeckt sind. Das Land Berlin zahlt in etwa 6,50 Euro pro Quadratmeter, um die Mietflächen zu betreiben und instand zu halten. Im Schnitt haben wir aber Mietkosten von 18 ,20 und mehr Euro pro Quadratmeter. Diese Unterdeckung ist ein wesentliches Problem. Das zahlt uns keiner. Wir dürfen es nicht an die Eltern weitergeben, und kein Förderverein darf dafür aufkommen.
Also müssen wir das irgendwie kompensieren. Und das geht nur, wenn wir andere Vergütungssysteme suchen und vielleicht mancherorts nicht nach Tarifvertrag zahlen können, obwohl wir das gerne würden. Im Sinne der Beschäftigten ist das sehr fragwürdig. Das kann aber nur die Politik lösen, nicht wir als Träger. Auf dem Papier müssen wir fünf Prozent Eigenanteil erwirtschaften, tatsächlich sind es eher 15 bis 20 Prozent. Auch die 23 Euro Kostenbeteiligung der Eltern zum Mittagessen, die seit elf Jahren unverändert sind, sind längst nicht mehr zeitgemäß. Die Kosten galoppieren uns derzeit davon. Wie sollen wir da gutes, gesundes und regionales Essen anbieten?