Entweder man war selbst schon einmal in dieser Situation oder kennt Freunde mit diesem Problem: Die geplante Elternzeit neigt sich dem Ende zu, der Wiedereinstieg in den Beruf steht bevor, aber ein Betreuungsplatz für das Kind ist nicht in Sicht. Selbst wer sich frühzeitig um eine Betreuung bemüht hat, geht oft leer aus. Kitakrise pur: Das Kind steht auf zig Wartelisten, eine Einrichtung nach der anderen wird erfolglos abgeklappert, die zuständige Stelle in der Kommune antwortet längst nicht mehr. Hat man am Ende einen der raren Plätze ergattert hat, sieht man sich mit Personalmangel und Notbetreuung konfrontiert. Im zweiten Teil unserer Serie Kitakrise widmen wir uns den Folgen für die Familien.
Stoppt die Kitastrophe!
Die Kitakrise trifft die Eltern mit voller Wucht. Das Versprechen von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheitert auch an der schlechten Betreuungssituation. An der Nichtplanbarkeit. Wenn beide Partner arbeiten möchten, aber nicht können, weil die Einrichtung chronisch unterbesetzt ist oder die Eingewöhnung zum x-ten Mal verschoben wurde, führt das zu Frust. Oft sind es noch immer die Frauen, die im Beruf zurückstecken, die ihre Stunden reduzieren oder die Elternzeit verlängern, weil anders der Familienalltag nicht zu bewältigen ist.
In einem Gastkommentar im Handelsblatt (9.3.23) schrieben Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: „Wenn allein Frauen mit Kindern unter sechs Jahren in dem Umfang erwerbstätig sein könnten, wie sie es wollten, hätte Deutschland auf einen Schlag 840.000 Arbeitskräfte mehr. Das wäre ein riesiger Gewinn für unsere Wirtschaft in Zeiten des Fachkräftemangels.“
Inzwischen ist ein Punkt erreicht, an dem viele Eltern die Zustände in den Krippen und Kindergärten nicht mehr einfach so hinnehmen. Sie schließen sich zusammen, werden laut. In vielen Städten gründen sich Initiativen aus Eltern und ErzieherInnen. Zum Beispiel die Kitastrophe in Stuttgart, Kitakollaps in Brandenburg, die Elterninitiative Betreuungnotstand Ludwigshafen oder die Initiative für Freisings Kinder. Wir haben mit zwei Müttern gesprochen, die ihrem Ärger Luft machen.
Mit vier noch keinen Kindergartenplatz
Barbara Fischer* wohnt im Großraum Stuttgart. Sie hat vier Söhne (10, 6, 4 und 2 Jahre alt) und engagiert sich bei der „Kitastrophe Stuttgart“
„Als mein zweitjüngster Sohn zwei Jahre alt war, haben wir ihn für den Kindergarten vormerken lassen. Bei den Großen lief das direkt über die Kitaleitung. Das hat wunderbar funktioniert. Nun sollten alle Anmeldungen über ein zentrales System der Stadt Böblingen laufen. Dieses digitale Platzvergabeverfahren ist eine Katastrophe. Ich konnte zum Beispiel nicht hinterlegen, wie lange ich in Elternzeit bin. Als ich bei meiner Priorität 1 einen Betreuungsbedarf von 35 Stunden angab, wurden mir im nächsten Schritt nur die Kitas mit entsprechenden Zeiten angezeigt. Die Kita der Geschwisterkinder war nicht dabei, weil sie ein anderes Stundenkontingent hat. Das war Ende 2021.
Dann hat Corona ganz viel durcheinandergewirbelt. Es gab zum Teil Aufnahmestopps wegen Personalmangels. Als Unser Sohn drei wurde, gab es nur Absagen. Wir haben einen Anwalt eingeschaltet und Akteneinsicht gefordert. In der Akte stand quasi nichts drin. Nicht, dass ich in Elternzeit bin, nicht, dass es ein Geschwisterkind im Kindergarten gibt, obwohl ich das im System versucht habe abzubilden – so gut das eben ging.
Mein Sohn wurde vier und wieder trudelten Absagen ein. Ich habe gefühlt alle zwei Tage eine E-Mail an die Stadt geschrieben. Ohne Antwort. Telefonisch war nie jemand zu erreichen. Mein Sohn hat ein Sprachdefizit. Eine Logopädin hatte mir extra einen Bericht geschrieben, in dem sie dringend den Besuch eines Kindergartens empfiehlt. Interessiert hat das niemand.
Wir haben es dann wieder über den Anwalt probiert. Auf einen Widerspruch haben wir bis heute keine Antwort erhalten. Ungefähr zu der Zeit gab mir eine andere Mutter ein Formular, mit dem ich mir vom Arbeitgeber die Länge der Elternzeit bestätigen lassen konnte. Das habe ich zuvor noch nie gesehen. Das Formular habe ich der Stadt nachgereicht. Mein Sohn ist jetzt viereinhalb. Den Anforderungen, die er an mich als Spielpartnerin hat, kann ich kaum noch gerecht werden.
Als Eltern hat man das Gefühl, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Doch anstatt es da rauszuholen, guckt die Stadt, wie lange es noch schwimmen kann.
Barbara Fischer
Ich bin auch selbst aktiv geworden. Ich habe einen Spielkreis für Kinder gegründet, die keinen Kindergartenplatz bekommen haben. Manche Kinder darin sind schon fünf. Außerdem lasse ich mich gerade zur Tagesmutter ausbilden und engagiere mich bei der Initiative „Kitastrophe Stuttgart“. Bei jedem Medienbericht über die Kitakrise, den ich über Instagram teile, markiere ich die Stadt, die Stadtverwaltung und den Oberbürgermeister. Vielleicht haben wir irgendwann genug Aufmerksamkeit für das Thema erzeugt. Vor einiger Zeit habe ich eine Bürgersprechstunde mit dem Oberbürgermeister ergattert. Der musste mir dann wenigstens zuhören. Er hat aufgezählt, was die Stadt schon alles tut, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Eine Zusage für einen Kindergartenplatz habe ich nicht bekommen.
Was letztendlich zum Ziel geführt hat, weiß ich nicht. Aber seit Oktober haben wir einen Kindergartenplatz und ich mache mit meinem Sohn die Eingewöhnung.
Von der Stadt wünsche ich mir, dass sie endlich auf Augenhöhe mit uns Eltern kommuniziert. Im ganzen Stadtgebiet wurden die Betreuungszeiten auf maximal acht Stunden am Tag begrenzt. Zunächst befristet auf zwei Jahre. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie die Stadt bis dahin mehr Personal gewinnen will. Man muss die Rahmenbedingungen ändern, dann kehrt vielleicht die ein oder andere in diesen Beruf zurück. Es geht nicht nur ums Gehalt, sondern auch um die Wertschätzung. Ich bin im Elternbeirat. Wir haben viele Vorschläge gemacht, um das Personal zu halten. Zum Beispiel Jahreskarten fürs Schwimmbad oder eine kostenlose Mitgliedschaft in der Bücherei. Die Stadt hat darauf nicht reagiert.
Als Eltern hat man das Gefühl, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Doch anstatt es da rauszuholen, guckt die Stadt, wie lange es noch schwimmen kann.
Lösungsideen in der Kitakrise? Mangelware
Annalisa Fischer* ist Sprecherin der „Initiative für Freisings Kinder“ und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. An ihrem Wohnort Freising, einer Stadt in der Region München, fehlen fast 700 Betreuungsplätze.
In Freising weiß jeder: Wer arbeiten möchte und ein Kind hat, muss Glück haben, einen Betreuungsplatz zu erhalten. Meine Familie hatte Glück. Wir bekamen einen Platz für unsere Tochter. Doch bei vielen Familien in Freising sieht das anders aus: 684 sind zum Start des Kita-Jahres 2023/24 leer ausgegangen. Konkret bedeutet das, dass 60 Prozent der Kinder im Krippenalter und 43 Prozent der Kinder im Kindergartenalter keinen Platz erhalten. Dazu kommen einige Familien, die keinen Hortplatz finden. In der Presse las ich, dass die Stadt auch in Zukunft wenig Möglichkeiten sieht, die Situation in den Kitas zu verbessern. Das war der Punkt, an dem ich und andere Eltern gedacht haben: So kann es nicht weitergehen.
Im Juli haben wir die „Initiative für Freisings Kinder“ gegründet. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe gestartet, in die an zwei Tagen über 200 Leute eingetreten sind. Dann ging es Schlag auf Schlag. Eine von uns gestartete Online-Petition zum Thema haben in weniger als einer Woche 1500 Menschen unterschrieben. Die Petition enthält die Bitte um öffentliche Stellungnahme zu Fragen wie: „Welche Verbesserung der Situation planen Sie konkret in den kommenden zwei Kitajahren?“. Oder: „Was tun Sie dafür, das vorhandene Fachpersonal in den Freisinger Kindertagesstätten zu halten?“
Wir haben von der Stadt einen Aktionsplan gefordert und eine Einladung zu einem Gespräch, um gemeinsam zu diskutieren und Lösungswege zu erarbeiten. Wir haben viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Die unterschriebene Petition haben wir bei einer kurzfristig organisierten Demonstration dem Bürgermeister überreicht. Wir wollten das Momentum nutzen und Handlungsdruck erzeugen.
Eltern in anderen Städten kann ich nur raten: Tut es uns gleich! Kreiert Aufmerksamkeit!
Annalisa Fischer
Dann waren in Bayern erst mal Sommerferien. Erst auf mehrfache Nachfrage wurden wir schließlich zu einem Gesprächstermin ins Rathaus geladen. Bei diesem informativen Gespräch haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Stadt sehr wohl um das Problem weiß, es aber schlicht an Lösungsideen mangelt, wie man der Kitakrise jenseits von Stellenausschreibungen begegnen könnte. Wir denken, da geht deutlich mehr. Im Moment erarbeiten wir einen Forderungskatalog.
Die Stadt könnte zum Beispiel Wohnraum für Kita-Personal subventionieren. Ebenfalls fordern wir die Schaffung der Stelle eines Kita-Magers oder einer Kita-Managerin, der bzw. die die Situation der Kinderbetreuung in Hort, Krippe und Kindergarten in Freising analysiert und neue Lösungswege entwickelt. Zudem könnte die Stadt deutlich mehr auf die Freisinger Eltern, die Bürgerinnen und Bürger zugehen und beispielsweise Geld und Räume für Elterninitiativen zur Verfügung stellen.
Bei der letzten Demonstration Anfang Oktober hat sich der Verband der Kita-Fachkräfte Bayern an unsere Seite gestellt. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher ziehen in dieser Sache an einem Strang. Auch der Kinderschutzbund Freising hat sich mit uns solidarisiert.
Eltern in anderen Städten kann ich nur raten: Tut es uns gleich! Kreiert Aufmerksamkeit! Es geht um essenzielle Themen, um die Bildung unserer Kinder, um Chancengleichheit. Kinder sind die Zukunft und das sollte sich auch in der Priorisierung ihrer Chancen niederschlagen. Eine Bewegung zu starten, ist nicht schwer. Tut euch mit anderen zusammen. Schreibt an den Stadtrat, den Bürgermeister, eure Abgeordneten. Verfasst eine Petition. Nutzt Social Media. Organisiert eine Demonstration. Nur wenn wir uns nicht stumm unserem vermeintlichen Schicksal fügen, haben wir die Chance, etwas zu verändern.
Und die anderen?
Was habt ihr für Erfahrungen bei der Suche nach einem Betreuungsplatz gemacht? Schreibt es uns in die Kommentare.
* Die Frauen sind nicht miteinander verwandt. Derselbe Nachname ist Zufall
Foto oben: Michael Kunz/People Pictures