Der Fachkräftemangel in den Kitas trifft auch Stuttgarter Familien hart. Rund 3000 Kinder unter sechs Jahren warten derzeit auf einen Betreuungsplatz. Die Stadt will deshalb hin zu kürzeren Betreuungszeiten. Statt 40 Stunden und mehr anzubieten, sollen es künftig eher 30 bis 35 Stunden pro Woche sein. Die Hoffnung: Mehr Kindern einen Platz anbieten zu können und Planungssicherheit für die Eltern zu schaffen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wird unter diesem Schritt leiden. Wir haben mit Fachberaterin Caroline Seifried über die Lage in den evangelischen Kitas gesprochen. Sie erzählt, warum es so schwer ist, Erzieherstellen zu besetzen und welche Rahmenbedingungen sie gerne ändern würde. Über die Kitakrise in Stuttgart.
BoB.Family: Auf der Jobseite Ihres Trägers sind derzeit 136 Stellen für die evangelischen Kitas in Stuttgart ausgeschrieben. Gesucht werden Integrationskräfte, Auszubildende, pädagogische Fachkräfte. Was ist da los?
Caroline Seifried: Wir haben wirklich ein Problem. Das betrifft aber nicht nur uns, sondern auch andere freie Träger und die städtischen Einrichtungen. Sehr viele Erzieherinnen und Erzieher, die 40 Jahre und länger in ihrem Beruf sind, gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs.
Ist der Markt wirklich so leergefegt, wie es scheint?
Ja, wir bekommen selbst Leitungsstellen kaum besetzt. Manchmal erhalten wir auf eine Ausschreibung keine einzige Bewerbung. Momentan melden sich vor allem studentische Aushilfen. Also Studentinnen und Studenten, die zum Beispiel Kindheitspädagogik studieren und Erfahrungen sammeln möchten. Die Ausbildungsklassen sind voll, aber durch den Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Krippen werden mehr Fachkräfte gebraucht. Früher bekam eine Auszubildende auf ihre Bewerbungen vielleicht ein oder zwei passende Zusagen, heute kann sie sich aus zehn Stellen die beste herauspicken.
Was tun Sie, um mehr Mitarbeitende zu gewinnen?
Bei den Ausschreibungen überlegen wir uns immer, wie wir die Einrichtung attraktiv darstellen können, welche Vorteile sie hat. Es kann auch abschreckend wirken, wenn jemand sieht, dass in einem Haus gleich drei Stellen vakant sind. Dann ist es manchmal besser, nur eine Stelle auszuschreiben. Das ist eine Gratwanderung. Unser Träger hat erkannt, wie wertvoll es ist, Mitarbeitende zu binden. Wir tun viel dafür, dass sie sich gehört und wertgeschätzt fühlen. Es gibt zum Beispiel Fortbildungsprogramme oder pädagogische Begleitung im Team. Ich pflege eine offene und ehrliche Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen. Mit den personellen Ressourcen, die wir haben, versuchen wir, gut und verlässlich zu arbeiten.
Hat der Erzieherberuf an Attraktivität verloren?
Für mich war es immer mein Traumberuf. Und ich glaube, für viele andere ist er das auch noch. Es wird nur leider von außen nicht so wahrgenommen. Wenn ich erzähle, dass ich mal Erzieherin war, höre ich Kommentare wie: Boah, der Beruf ist so laut. Boah, der Beruf ist so körperlich. Boah, der Beruf ist so schlecht bezahlt. Die ganzen positiven Aspekte fallen einfach unten den Tisch.
Wie ist die Stimmung in Ihren Einrichtungen?
Ich betreue insgesamt elf Einrichtungen, von der kleinen Krippe bis zur Ganztagsbetreuung mit fünf Gruppen. Es hängt auch ein Stück weit von der Kita ab, wie sie mit der Situation umgeht. Ich habe Kolleginnen und Kollegen, die für sich und ihre Einrichtung einen sehr guten Plan gefunden haben, wohin sie wollen und mit welchen Ressourcen sie das schaffen. In anderen Einrichtungen hingegen werden die Anforderungen zunehmend als erdrückend und belastend empfunden. Ich will nicht missverstanden werden: Wir haben einen Mangel, es fehlt an Personal, die Möglichkeiten sind zum Teil eingeschränkter als noch vor zehn Jahren. Aber manche Einrichtungen kommen damit besser zurecht als andere.
Welche Rahmenbedingungen sollten Ihrer Meinung nach verbessert werden?
Es gab mal eine wunderschöne Broschüre, da wurden Fachkräfte über einen längeren Zeitraum begleitet und ihr Arbeitsalltag vorgestellt. Ich fand das spannend, weil es offen und ehrlich war. Damals war ich selbst noch Erzieherin und habe vieles ganz ähnlich erlebt. Manchmal wünsche ich mir, dass so ein Heft neu aufgelegt und unter die Leute gebracht wird. Denn ich glaube, viele Menschen wissen gar nicht, was Erzieherinnen und Erzieher eigentlich tun und leisten. Es geht eben nicht nur darum, Kinder zu betreuen und zu bespaßen.
Der zweite Punkt, an den ich gerne ran würde, ist das Thema Geld. Durch den Tarifvertrag haben wir nur einen begrenzten Spielraum. Was eine Leitung verdient, hängt zum Beispiel auch davon ab, wie viele Kinder in ihrer Einrichtung betreut werden. Studierte Fachkräfte wie Kindheitspädagogen oder Sozialpädagogen können wir dadurch nicht immer so gut bezahlen, wie wir es gerne würden.
Abschließend gilt noch zu sagen, dass generell mehr ausgebildet werden sollte.
Inzwischen springen auch mal die Eltern ein, wenn in einer Einrichtung Not am Mann ist. Was halten Sie davon?
Einerseits finde ich es großartig, dass sich Eltern diese Aufgabe zutrauen. Denn es muss klar sein: Ich bin in dem Moment nicht als Mama oder Papa in der Einrichtung, sondern ich habe eine andere Rolle. Das Engagement ist toll, ich unterstütze das sehr, weil es die Einrichtungen entlasten kann. Aber manchmal erwecken diese Notlösungen einen falschen Eindruck. Es sieht so aus, als ob jemand, der selbst Kinder hat, automatisch in einer Kita arbeiten kann. Dabei haben Erzieherinnen und Erzieher in der Regel eine vierjährige Ausbildung absolviert, und das nicht ohne Grund.
Leidet darunter die Qualität der Betreuung?
Wahrscheinlich schon. Mütter und Väter haben natürlich eine andere Herangehensweise als Erzieherinnen und Erzieher, vor allem wenn das eigene Kind auch in die betreute Kitagruppe geht. Mir würde es nicht anders gehen, wenn ich im Kindergarten meiner Tochter aushelfen würde. Ich bin da einfach emotional involviert und habe weniger den professionellen Blick. Und die Mitarbeit im Kindergarten macht auch etwas mit der Beziehung zwischen Pädagogen und Eltern. Die Eltern bekommen andere Einblicke, der Umgang ändert sich. Das kann schwierig werden.
Stuttgart will die Öffnungszeiten der städtischen Einrichtungen verkürzen. Ist das auch ein Thema für die evangelischen Kitas?
Wir haben einzelne Einrichtungen, in denen wir die Randzeiten reduzieren mussten. Einfach, weil wir den Mindestpersonalschlüssel nicht mehr halten konnten. Ob unser Träger in Zukunft generell auf kürzere Öffnungszeiten setzen wird, um das Personal besser verteilen zu können, kann ich nicht sagen. Es wird jedenfalls in viele Richtungen gedacht. Klar ist: Es muss sich etwas ändern und wir werden in irgendeiner Form Abstriche machen müssen. Bei kürzeren Öffnungszeiten würde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aber massiv leiden, das ist ein hohes Gut, das wir da opfern würden.
Die Kitastrophe Stuttgart setzt sich für bessere Betreuung und Arbeitsbedingungen ein. Was halten Sie von der Initiative?
Ich finde es bewundernswert, dass die Leute endlich aufgestanden sind. Die Eltern haben deutlich gemacht: Hier ist eine Grenze erreicht, wir können nicht mehr, die Erzieherinnen und Erzieher können auch nicht mehr. Ich habe lange überlegt, ob ich mit meinem Mann und meinen Kindern bei dieser ersten Demonstration in Stuttgart mitlaufen soll, mich dann aber dagegen entschieden. Ich finde den Aufschrei gut, aber ich bin noch unsicher, wo er hinführen wird.