Für viele Eltern in Deutschland fängt es schon vor der Geburt ihres Kindes an: Die Suche nach einem Kitaplatz. Und die ist leider oft frustrierend und nervenaufreibend. Seit zehn Jahren haben Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Theoretisch. Denn es fehlt an allen Ecken und Enden: an geeigneten Räumen, an Fachkräften, an Auszubildenden. Wir widmen uns der Kitakrise in einer neuen Serie, sprechen mit Eltern, Erzieherinnen und Erziehern und beleuchten, welche Wege aus der Krise eingeschlagen werden. Was tut die Politik? Welche Lösungen finden Gemeinden, Städte, Einrichtungen und Eltern? Zum Start werfen wir einen genauen Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland.
„Berufstätige Eltern unter Druck“, „Eine Misere zulasten der Mütter“, „Die Kitakrise ist eine Gefahr für die Zukunft unsere Gesellschaft“, „Massenkinderhaltung“ – das sind nur einige wenigen Schlagzeilen der letzten Wochen. Es brodelt in Deutschland. Doch wo genau liegen eigentlich die Probleme? Achtung, es wird gleich etwas zahlenlastig, aber wir kämpfen uns da gemeinsam durch.
Kitakrise – Die Sache mit dem Rechtsanspruch
Seit dem 1. August 2013 haben Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf Betreuung. Zehn Jahre ist das jetzt her. Inzwischen gehen die ersten Nutznießer dieses Rechtsanspruchs längst in die Schule. Was hat sich im letzten Jahrzehnt getan? Milliarden sind in den Kita-Ausbau geflossen. Dennoch ist die Lage vielerorts deprimierend. Denn noch immer fehlen hunderttausende Kitaplätze.
Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums wurden 2022 bundesweit 35,5 Prozent der unter Dreijährigen in einer Kindertageseinrichtung betreut. Das ist immerhin eine deutliche Verbesserung gegenüber 2006, als es nur 13,6 Prozent waren. Allerdings wünscht sich fast die Hälfte der Eltern mit Kindern unter drei Jahren, nämlich 49,1 Prozent, aktuell einen Betreuungsplatz. Das bedeutet: 13,6 Prozent der Kinder bekamen keinen Platz, obwohl ihre Eltern das gerne wollten. Das Angebot hinkt dem Bedarf also leider weit hinterher. Und je nach Bundesland ist die Situation noch angespannter. Wer im Saarland lebt, hat besonders schlechte Karten. Dort bekamen 20 Prozent der Kinder keinen Betreuungsplatz – trotz Elternwunsch.
Das Bundesfamilienministerium hat im Mai 2023 auf eine Anfrage der Linken geantwortet. Bezogen auf das Jahr 2021 fehlten demnach 291 000 Plätze für unter Dreijährige.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht von 266 000 fehlenden Betreuungsangeboten im Jahr 2022. Allerdings spielte hier mit rein, dass wegen der Coronapandemie weniger Betreuungsplätze benötigt wurden. Die Zahl könnte in den nächsten Jahren also weiter steigen.
Und wer schon einmal verzweifelt nach einem Kindergartenplatz für seinen Nachwuchs gesucht hat, ahnt, dass die Betreuungsprobleme leider oft nicht mit Erreichen des dritten Lebensjahrs enden. Dabei gibt es den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für diese Altersgruppe bereits seit 1996. Laut Bertelsmann Stiftung fehlen im Jahr 2023 bundesweit 112 600 Plätze für Kinder ab drei Jahren.
In Ostdeutschland stellt sich die Situation übrigens deutlich entspannter dar als in Westdeutschland. Dort wurden im Jahr 2022 bereits mehr als die Hälfte der unter Dreijährigen betreut, nämlich 53,3 Prozent. In Westdeutschland besuchten dagegen nur 31,8 Prozent der U3-Kinder eine Kindertageseinrichtung oder ähnliches (diese Zahlen stammen ebenfalls aus dem Bericht des Bundesfamilienministeriums). Das hängt noch mit den Gegebenheiten in der DDR zusammen. Dort war es die Regel, dass auch Frauen berufstätig waren, während im Westen zu dieser Zeit noch ein, sagen wir mal, traditionelles Familienbild mit der Frau als Hausfrau gepflegt wurde. Entsprechend kümmerte sich der DDR-Staat um eine ausreichende Betreuungssituation. Diese Infrastruktur blieb nach der Wiedervereinigung weitgehend erhalten.
Erzieherinnen und Erzieher dringend gesucht
Am Weltfrauentag, dem 8. März 2023, waren viele Kitas dicht. Zehntausende Erzieherinnen und Erzieher waren dem Aufruf der Gewerkschaft ver.di gefolgt und demonstrierten auf den Straßen für mehr Geld, Wertschätzung und eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Viele haben ihre Belastungsgrenze erreicht. Kitas müssen oft mit weniger Personal auskommen, als es zum Beispiel die Aufsichtspflicht erfordert. Die Bertelsmann Stiftung geht für das Jahr 2023 von mehr als 98 000 fehlenden Erzieherinnen und Erzieherinnen aus. Das überall gut ausgebildete Fachkräfte fehlen, gilt als eines der Hauptprobleme der Kitakrise.
Die Fachkräfte in den Kitas müssen aufgrund fehlender Kolleginnen und Kollegen deutlich mehr Arbeit stemmen. Sie sind häufiger krank und fallen aus, was die Betreuungssituation zusätzlich verschlechtert. Nicht selten müssen die Öffnungszeiten reduziert werden – oder es wird gleich nur eine Notbetreuung angeboten.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat eine Umfrage unter mehr als 5000 Kitaleitungen gemacht und warnt eindringlich vor einer Gefährdung der frühkindlichen Bildung durch Personalmangel. Neun von zehn der Erzieherinnen und Erziehern in Leitungsfunktionen gaben in der Umfrage an, dass sich der Personalmangel negativ auf die pädagogische Qualität auswirke. Ebenso viele sagten, dass in den letzten zwölf Monaten pädagogische Angebote gestrichen werden mussten. Gleichzeitig schwindet die Freude an der Arbeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das führt bis hin zur Kündigung.
Ein ähnlich dramatisches Bild zeichnet die Bertelsmann Stiftung. Demnach werden bundesweit 68 Prozent aller Kitakinder in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Empfohlen wird eine Fachkraft-Kind-Relation von 1:3 für Kinder unter drei Jahren und von 1:7 oder 1:8 für Kinder ab drei Jahren. Aber eben auch das nur in der Theorie.
Warum fehlen so viele Erzieherinnen und Erzieher?
Die Gründe sind komplex. Hier eine Kurzfassung: Deutschlandweit mangelt es an Fachkräften, unter anderem weil die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in Rente gehen und weniger junge Menschen nachkommen.
Für die Erzieherinnen und Erzieher gilt außerdem, dass der Betreuungsbedarf über die Jahre immer weiter gestiegen ist. Immer mehr Kinder sollen eine Kita besuchen, und das oft am liebsten ganztags. Um diesen Bedarf zu decken, werden mehr Erzieherinnen und Erziehern benötigt. Es wurden zwar viele neue Kitas gebaut, aber nicht in gleichem Maße Ausbildungsplätze geschaffen. Lange Zeit war die Ausbildung unbezahlt, inzwischen hat sich das zum Teil geändert. Aber in jedem Bundesland gelten etwas andere Bedingungen, was die Attraktivität des Berufs nicht gerade steigert. Zudem klagen viele Erzieherinnen und Erzieher über eine mangelnde Wertschätzung ihres Jobs.
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