Als mein Sohn Merlin drei Monate alt war, nahm ich ihn das erste Mal mit zum Gesangsunterricht. Er lag entspannt neben dem Flügel und begutachtete neugierig die unbekannte Umgebung. Bis ich die ersten Tonleitern sang. Er reckte sein Köpfchen, die Augen auf mich gerichtet. Und plötzlich, mir ist das nicht gleich aufgefallen – sang er einfach mit! Kaum hatte meine Lehrerin einen Ton angeschlagen, flötete es vom Boden und mein winziges Kind traf die Töne so sauber wie eine 1-A-gestimmte Geige. Wie sich Musik auf die frühkindliche Entwicklung auswirkt.
- Musik macht glücklich – und rettet Leben
- Bindung und Musik – ein Dream-Team von Anfang an
- Musik sortiert unsere Gefühle
- Wir werden mit der Sehnsucht nach Musik geboren
- Musik und frühkindliche Entwicklung: Klänge sind überall
- Warum es so wichtig ist, Kinder in der Familie musikalisch zu fördern
- Von allem etwas – sorgt für musikalische Vielfalt
Musik macht glücklich – und rettet Leben
Hast du dich schon gefragt, warum wir Menschen überhaupt singen und musizieren? Warum die Stimmen mancher professionellen Sängerinnen und -sänger sogar die Lautstärke eines Presslufthammers erreichen können? Warum summen wir unter der Dusche, singen in Chören oder ums Lagerfeuer herum? Und weshalb macht Musik so viele Menschen glücklich?
Der Schlüssel zu diesem Geheimnis liegt in der Zeit, als der Homo sapiens auf der Bildfläche erschien. Singen und Musizieren halfen uns nämlich schon in der Steinzeit zu überleben.
Bindung und Musik – ein Dream-Team von Anfang an
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass Bindung der Stoff ist, aus dem ein glückliches Leben entsteht. Die Erklärung ist einfach: Menschen, besonders Kinder, sind auf Bindung und Gemeinschaft angewiesen. Wer auf sich gestellt ist, war zu Urzeiten leichte Beute – und ist es auch heute noch. Egal, ob uns Raubtiere, Artgenossen, Kälte, Hunger oder Katastrophen bedrohen: Nur mit anderen Menschen an unserer Seite haben wir diesen Gefahren etwas entgegenzusetzen. Und dieses Programm wirkt tief in uns Menschen.
Musik sortiert unsere Gefühle
Was das mit Musik zu tun hat? Singen und Musizieren gehört zu den effektivsten Tools, seit die ersten Homo sapiens zum Sammeln und Jagen aufbrachen. Und das nicht nur, um Feinde zu vertreiben. Musik hilft, die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen und sie uns überhaupt erst bewusst zu machen. Sie unterstützt uns, Gefühle zu verarbeiten und mit anderen zu teilen. Singen und Musizieren lassen uns aufeinander hören, miteinander schwingen. Und Musik gibt Gruppen Identität.
Kurz: Gemeinsames Musizieren macht uns friedlich. Und wirkt besser als jedes Gewaltpräventionsprogramm. Auch das ist wissenschaftlich bewiesen.
Wenn du schon einmal im Chor gesungen oder mit anderen in einer Band musiziert hast, kennst du das bestimmt. Es ist irgendwie magisch, wenn du Teil eines gemeinsamen Klangs bist. Und diese Magie spüren Babys bereits im Mutterleib. Sie erinnern später sogar Melodien, die sie während der Schwangerschaft immer und immer wieder gehört haben. Schließlich entwickelt sich das Gehör bereits um die 21. Schwangerschaftswoche.
Wir werden mit der Sehnsucht nach Musik geboren
Studien belegen, dass uns Singen und Musizieren in die Wiege gelegt wurde. Nicht nur, weil sie zum Überleben beiträgt. Wenn wir früh mit unseren Kindern singen und musizieren und ihnen unterschiedliche Klänge anbieten, fördert das die körperliche, geistige, psychische und soziale Entwicklung. Außerdem sind Kinder aus einem musikalischen Umfeld durchschnittlich früher regelschulfähig. Sie finden kreativere Lösungen und sind sprachlich oft besonders fit.
TIPP: Denke immer daran – Musik und Singen tut deinem Kind nur gut, wenn es Klänge spielerisch und ohne Leistungsdruck erkunden darf.
Musik und frühkindliche Entwicklung: Klänge sind überall
Zum Glück ist Musizieren mit Babys und Kleinkindern kein Hexenwerk. Du musst weder ein Instrument beherrschen, noch tadellos vom Blatt singen können. Es reicht, wenn du deinem Kind immer wieder ermöglichst, Klänge zu entdecken. Und Kinder können fast alles zum Klingen bringen! Gib ihnen einen Kochlöffel und setze sie vor einen Schrank mit Schüsseln oder Töpfen: Das Konzert kann beginnen! Netter Nebeneffekt: Die Kleinen sind oft so vertieft in ihre musikalisch-rhythmischen Kreationen, dass die Zeit locker für einen (geräuschvollen) Kaffee mit der Freundin reicht.
Warum es so wichtig ist, Kinder in der Familie musikalisch zu fördern
Wir hatten damals Glück in der Kita. Merlins Betreuerin sang wie ein Engel und hatte die Geduld wie einer. Manchmal suchte sie Lieder für einzelne Kinder heraus, in denen es sich um Lieblingsthemen wie Traktor, Auto oder Tiere drehte.
Die Realität sieht in den meisten Kitas anders aus. Unterbesetzung und mangelnde Qualifikation sind oft die Gründe. Die größte Herausforderung: Es ist wichtig, mit Kindern in einer hohen Stimmlage zu singen, die der Tonlage der Kinderstimme entspricht. Singen wir zu tief, können Kinder die Töne nicht nachsingen. Das geht physiologisch einfach nicht! Stell dir vor, du sollst aus einem riesigen Bass mit langen Saiten einen hohen Ton herausholen. Unmöglich.
TIPP: Um es dir besser vorzustellen, nimm dir ein Gummiband, ziehe es stramm und zupfe daran, höre auf den Klang. Jetzt kürzt du es und zupfst wieder. Hörst du den Unterschied? Genauso ist es mit den Stimmbändern der Kinder – sie sind viel kürzer als deine und produzieren deshalb auch viel höhere Töne.
Viele Erzieher*innen singen leider viel zu tief und haben kaum Ideen, wie sie mit Kindern musizieren könnten. Dabei ist es so leicht! Schon eine Klangschale kann ausreichen, um die Kinder in Staunen zu versetzen. Hast du schon einmal eine mit Wasser gefüllte Klangschale angeschlagen und gesehen, was passiert? Oder gespürt, wie der Boden dabei vibriert?
TIPP: Wenn du manchmal den Ton nicht triffst, macht das gar nichts. Hauptsache, du brummst nicht wie ein Bär. Wenn du mehr übers Musizieren im Kleinkindalter wissen möchtest, besorge dir dazu ein Buch. Der Markt bietet eine Menge wunderbarer Bücher – und viele tolle Blog-Artikel.
Ich finde, dass es keinen Sinn ergibt, zu beklagen, dass Betreuungseinrichtungen den Förderschatz nicht heben, den Musik bietet. Deshalb: Lasst es uns einfach zu Hause selbst in die Hand nehmen.
Musik und frühkindliche Entwicklung – So geht’s:
- Nutze alles, was dein Haushalt hergibt – bastelt Rasseln aus Klorollen oder Trommeln aus Pappmaschee – Anleitungen findet ihr im Netz.
- Besucht gemeinsam einen Baby-Musikkurs – später dann die musikalische Früherziehung
- Schon im Baby-Alter sind Fingerspiele und Schoßlieder total beliebt – „Hoppe, hoppe Reiter“ geht doch immer, oder?
- Erfindet Melodien zu ausgedachten Texten – oder gebt Liedern neue Texte
- Tanzt, sooft ihr könnt – das macht gute Laune, fördert Bindung und Rhythmusgefühl und lässt Kinder tief schlafen
- Stellt einen kleinen Korb mit Orff-Instrumenten wie Klanghölzer, Tambourin und Rasseln auf – das Kind wird sich bedienen, wenn es mag
- Achtet auch Vorlieben – Merlin mochte wahnsinnig gern Klavierklang – also gab’s auch mal Klaviermusik aus der Konserve
- Besucht Kinderkonzerte und geht ins Kindertheater – Hänsel & Gretel stehen bei uns ganz hoch im Kurs
- Vielleicht habt ihr Lust, gemeinsam mit eurem Kind ein Instrument zu lernen? Das macht Spaß und verbindet. Wir haben zusammen mit Gitarre begonnen.
- Besorgt euch schöne CDs mit Kinderliedern, die Kinder gut nachsingen können (zum Beispiel aus der Carus-Reihe)
- Sucht euch Lieder für Rituale wie aufräumen, Zähne putzen oder anziehen. Mit Musik geht auch das besser!
- Machen ist besser als Konsumieren – ran an Klangholz, Glockenspiel & Co!
TIPP: Unter www.lieder-projekt.org könnt ihr euch eine riesige Auswahl an Kinderliedern in einer gut sangbaren Tonlage gratis herunterladen.
Von allem etwas – sorgt für musikalische Vielfalt
Neulich erzählte Merlin, dass die Musiklehrerin fände, er sei ein begabter kleiner Sänger und dass ein Chor vielleicht genau das richtige für ihn sei. Ehrlich gestanden, habe ich mich viel mehr darüber gefreut als er. Und ich glaube auch nicht, dass er sich jemals für den süßen Klang eines Kinderchores begeistern wird. Gleichzeitig bin ich stolz darauf, dass sieben Jahre Gute-Nacht-Lieder singen, geklatschte und getanzte Reime, Ritual-Lieder, musikalische Früherziehung und Musizieren in der Familie dafür gesorgt haben, dass er Musik liebt. Oper und Rapp. Klassische Kinderlieder und Metal. Und dass er ein aufgeschlossener, sozial-kompetenter Junge mit eigenen Ideen über das Leben ist, hat vielleicht auch ein kleines bisschen mit der Magie der Musik zu tun.