Beruf und Kinder zu vereinbaren, ist für die meisten Eltern ein Spagat. Es mangelt überall an Kitaplätzen, der Gender Pay Gap ist nach wie vor hoch, die Bildungschancen für Kinder hängen stark vom Elternhaus ab und am Ende droht vor allem uns Müttern die Altersarmut. Als Mutter und Vater hätte man also viele Gründe, Protestbanner zu malen und wütend auf die Straße zu gehen. Leider hapert es oftmals an der Zeit. Zwischen Erwerbsarbeit, Mittagessen kochen und Windeln wechseln bleibt kaum eine freie Minute für uns.
Wie schafft man es trotzdem, sich politisch zu engagieren und endlich die Bedingungen für Familien zu verbessern? Das haben wir die Autorin und Bloggerin Sarah Zöllner gefragt. In ihrem Buch „Mütter Macht Politik“ teilt sie viele praktische Ideen, wie Eltern auch mit chronischem Zeitmangel politisch Einfluss nehmen können.
- BoB Family: Warum sollten sich Eltern politisch engagieren?
- BoB Family: Wo fängt man am besten an?
- BoB Family: Nicht jeder hat Zeit, Parteiarbeit zu machen. Wie können sich Eltern sonst noch Gehör verschaffen?
- BoB Family: Viele Eltern leiden unter der Kitakrise. Der Mangel an Erzieherinnen, immer wieder Notbetreuung. Was können Mütter und Väter konkret tun, um die Situation zu verbessern?
- BoB Family: Also weniger auf die Straße gehen und eher sich in Verbänden vernetzen?
- BoB Family: In eurem Buch nennt ihr noch weitere Tipps, wie sich Eltern politisch engagieren können. Zum Beispiel für eine bessere Geburtshilfe…
- BoB Family: Man muss also keine eigene Initiative gründen?
- BoB Family: Du sagtest bereits, dass die Perspektive Alleinerziehender in der Politik fehlt. Was muss sich ändern, um Menschen mit Care-Verantwortung die Chance zu geben, sich in der Kommunalpolitik einzubringen?
- BoB Family: Der Rechtsextremismus in Deutschland erstarkt. Bei der Chancengleichheit erleben wir einen Backlash und die Kindergrundsicherung ist vorerst gescheitert. Wie kann man sich zu politischem Engagement motivieren, wenn man den Eindruck hat, es bringt doch eh alles nichts?
- Kitakrise? Was du sonst noch tun kannst – Ideen von Autorin Sarah Zöllner:
BoB Family: Warum sollten sich Eltern politisch engagieren?
Sarah Zöllner: Es ist wichtig, dass sich Eltern politisch engagieren, weil dadurch Themen, die Familien betreffen, stärker in den Fokus rücken. In der Politik ist es noch immer häufig so, dass alte weiße Männer die Entscheidungen treffen. Frauen mit kleinen Kindern, Alleinerziehende und Menschen, die ihre Eltern pflegen, sind vollkommen unterrepräsentiert. Es wäre wichtig, ihre Perspektive in die Politik mit aufzunehmen, weil sich nur so etwas für Familien verbessern kann.
BoB Family: Wo fängt man am besten an?
Sarah Zöllner: Müttern und Vätern, die sich für Kommunalpolitik interessieren, würde ich raten, einfach mal zu einer Parteiveranstaltung zu gehen, von einer Partei, die sie interessiert. Man bekommt einen ersten Einblick und verliert die Scheu.
BoB Family: Nicht jeder hat Zeit, Parteiarbeit zu machen. Wie können sich Eltern sonst noch Gehör verschaffen?
Sarah Zöllner: Im weiten Sinne bedeutet Politik, Gesellschaft zu gestalten. Das kann auch im Kleinen passieren, zum Beispiel durch ein ehrenamtliches Engagement. Viele Eltern engagieren sich bereits vor Ort, weil sie eine verkehrsberuhigte Straße umsetzen oder die Nachbarschaft begrünen wollen. Andere sind in der Elterninitiative ihrer Schule oder Kita tätig. Oftmals ist das ehrenamtliche Engagement auch der erste Schritt auf dem Weg in die Politik.
BoB Family: Viele Eltern leiden unter der Kitakrise. Der Mangel an Erzieherinnen, immer wieder Notbetreuung. Was können Mütter und Väter konkret tun, um die Situation zu verbessern?
Sarah Zöllner: Große Probleme wie die Kitakrise können dazu führen, dass wir uns ohnmächtig fühlen. Da hilft es oft, das Problem einmal herunter zu brechen, von einem großen, gesamtgesellschaftlichen Thema, zu einem lokalen Problem der Kita Grashüpfer im Ort XY.
Eltern, die sich zur Lösung der Kitakrise engagieren wollen, würde ich raten, zunächst einmal zum Elternbeirat ihrer Kita Kontakt aufzunehmen, um als gemeinsame Elternschaft eine Stimme zu finden. Es ist wichtig, Netzwerke und Verbindungen zu schaffen und zu schauen: Gibt es vielleicht schon Ansätze zur Verbesserung in meiner Stadt, von denen ich noch nichts weiß? Und wie lassen sich diese stärken?
Im zweiten Schritt kann man dann auch kitaübergreifend agieren. Beiräte verschiedener Kitas können gemeinsam die Stadt ansprechen, um individuelle Lösungen vor Ort zu finden.
BoB Family: Also weniger auf die Straße gehen und eher sich in Verbänden vernetzen?
Sarah Zöllner: Das kann parallel passieren. Der Knackpunkt ist, dass die meisten Eltern für diese Protestarbeit keine Zeit haben. In Bonn gibt es eine Initiative, die sich für bessere Bedingungen in Kitas einsetzt und die hat vor einiger Zeit eine tolle Ausstellung dazu organisiert. Leider kamen nicht so viele Besucher wie erwartet. Oftmals liegt sowas gar nicht an mangelndem Interesse, sondern einfach an der fehlenden Zeit vieler Eltern. Natürlich ist es auch wichtig, Öffentlichkeit für ein Thema zu schaffen. Aber bei der Kitakrise besteht die in gewisser Weise ja schon. Jetzt geht es darum, konkrete Veränderungen zu erwirken.
BoB Family: In eurem Buch nennt ihr noch weitere Tipps, wie sich Eltern politisch engagieren können. Zum Beispiel für eine bessere Geburtshilfe…
Sarah Zöllner: Ein erster wichtiger Schritt ist oftmals, Wissen zu erwerben und Informationen an andere Betroffene weiterzugeben. Viele Eltern wissen gar nicht, dass sie in der Schwangerschaft ein Anrecht auf die Vorsorge durch eine Hebamme haben. Solche Informationen kann man im Freundes- und Bekanntenkreis weiterstreuen. Wenn man keine Hebamme findet, gibt es vielleicht eine tolle Initiative oder einen Verein vor Ort, die einem weiterhelfen können.
BoB Family: Man muss also keine eigene Initiative gründen?
Sarah Zöllner: Oftmals gibt es schon verschiedene gute Angebote für Eltern, die Unterstützung suchen. Ein erster Anlaufpunkt können Mütterzentren sein, wo Fachleute Beratung anbieten. Dort gibt es auch Selbsthilfegruppen für Alleinerziehende.
Wichtig ist es, rauszukommen aus dem Gefühl, alles alleine schaffen zu müssen und sich mit Menschen zu verbinden, die zu diesem Zeitpunkt mehr Ressourcen haben, mehr Verbindungen, ein besseres Netzwerk. Viele Probleme sind nicht privat, sondern strukturell bedingt. Es kann enorm stärkend und motivierend sein, wenn man merkt, es gibt bereits Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren. Und irgendwann, wenn die eigenen Kinder aus dem Gröbsten raus sind, hat man vielleicht selbst die Ressourcen und kann anderen Eltern weiterhelfen.
BoB Family: Du sagtest bereits, dass die Perspektive Alleinerziehender in der Politik fehlt. Was muss sich ändern, um Menschen mit Care-Verantwortung die Chance zu geben, sich in der Kommunalpolitik einzubringen?
Sarah Zöllner: Etwas ganz Einfaches und Pragmatisches sind klare Anfangs- und Endzeiten der Sitzungen. Die meisten Sitzungen finden zwischen 16 und 21 Uhr statt. Oftmals ziehen sie sich sogar noch länger. Wenn dann kein zweites Familienmitglied da ist, das in dieser Zeit für die Kinder sorgen kann, ist es extrem wichtig zu wissen, von wann bis wann eine Babysitterin benötigt wird.
In der Kommunalpolitik ist es sogar noch Usus, dass Sitzungen um 18 Uhr beginnen, mit Open End. Wenn man als alleinerziehende Politikerin dann irgendwann nachhause zu seinen Kindern gehen muss, hat man einen klaren Nachteil bei den Mitbestimmungsmöglichkeiten. Wir brauchen mehr digitale Sitzungen, Vertretungsmöglichkeiten für Abgeordnete nach der Geburt ihrer Kinder und ein stärkeres Bewusstsein innerhalb der Politik für dieses Problem.
BoB Family: Der Rechtsextremismus in Deutschland erstarkt. Bei der Chancengleichheit erleben wir einen Backlash und die Kindergrundsicherung ist vorerst gescheitert. Wie kann man sich zu politischem Engagement motivieren, wenn man den Eindruck hat, es bringt doch eh alles nichts?
Sarah Zöllner: Politik ist nichts, was von uns getrennt stattfindet. Das kann jede und jeder machen – vorausgesetzt, man traut sich zu, dass man etwas zu sagen hat.
Ich persönlich bin alleinerziehend und habe die Aktions- und Vernetzungsplattform muetter-macht-politik.de ins Leben gerufen, zusammen mit Aura, mit der ich dieses Buch geschrieben habe. Es ist nicht so, dass mir das unmöglich war und ich habe wirklich geringe zeitliche Ressourcen. Man sagt oft: Die armen Alleinerziehenden sind so überlastet – zum Teil ist das auch wahr. Aber durch die Erfahrung sind wir es gewohnt, unsere Kräfte zu bündeln und gezielt einzusetzen. Das hilft, wenn man für sich und andere Familien Verbesserungen erwirken möchte. Der eigene Einsatz trifft auf Resonanz. Das zu erleben, setzt echt innere Kräfte frei.
Kitakrise? Was du sonst noch tun kannst – Ideen von Autorin Sarah Zöllner:
• Abgeordnete aus Land- und Bundestag aus deinem Ortskreis direkt über ihr Wahlbüro anschreiben und die Problematik schildern.
• Best-Practice Beispiele nutzen (Wo läuft es besser, was lässt sich vor Ort ggf. umsetzen?) und sich mit bestehenden Initiativen vernetzen (z.B. Kita-Offensive Starnberg, Eltern am Limit in Bonn) für weitere Ideen und gemeinsame politische Aktionen.
• Euch privat vernetzen (z.B. gegenseitige Betreuung, wenn die Kita ausfällt), um von desolaten Strukturen weniger abhängig zu sein und sich als Eltern gegenseitig zu unterstützen. Damit bleibt schlicht mehr Energie für anderes, weil nicht alle Energie für das tägliche „Krisenmanagement“ draufgeht.