Stillen in der Öffentlichkeit, ja das ist ein Thema, das immer wieder diskutiert wird. Für die eine ist es das Normalste der Welt dem eigenen Kind die Brust zu geben, für die andere nicht. Als frischgebackene Mutter muss man zunächst einmal herausfinden, wie für einen selbst das Stillen ist. Keiner kann einem im Vorfeld sagen, ob es klappt, ob man es mag, ob man es überall gern tut oder nur zu Hause in den eigenen vier Wänden. Es ist schließlich etwas sehr Intimes.
Andrea Kästner weiß, dass viele Frauen mit einer Scham zu kämpfen haben. Sie ist seit vielen Jahren Stillberaterin bei La Leche Liga. Seit 1977 unterstützt dieser gemeinnützige Verein stillende Mütter bei fachlichen und emotionalen Fragen. „Viele Frauen trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit zu stillen, aus Angst man könnte die Brust sehen oder es könnte nicht gleich mit dem Anlegen klappen“, weiß Andrea Kästner. Natürlich kann sie die Ängste der Mütter verstehen. Sie kann sie ihnen aber manchmal auch nehmen. „Häufig rate ich den Frauen, das Stillen zu Hause vor dem Spiegel zu üben. Das bringt Routine und die Mütter merken, dass man meist gar nicht viel von der Brust sieht.“ Außerdem habe man ja fast immer die Möglichkeit, sich an einen ruhigeren Ort zurückzuziehen, sei es im Kaufhaus die Umkleidekabine oder im Gasthaus das Nebenzimmer.“
Stillfreundliche Orte in Stuttgart
Doch wo kann man tatsächlich in Stuttgart in Ruhe stillen oder das Kind wickeln? Bei jeder Mutter beliebt sind die DM-Märkte. Alle haben sie einen Wickeltisch, manche auch eine Stillecke. Welche Märkte eine dieser Stillecken haben, findet man hier.
Mit Spielecke, Puppenküche und leckerem Essen ist auch das Café Riceteria bei Müttern sehr beliebt. Ebenso das Karls-Kitchen im Breuninger als auch das Weltcafé und das Café Planie am Charlottenplatz. Nicht zu vergessen das Flora und Fauna im Schlossgarten oder das Café Babel im Stuttgarter Osten – beides Cafés in denen Mütter immer herzlich willkommen sind. Im Traditionshaus Korbmayer gibt es im dritten Stock (Baby- und Kinderwagenabteilung) ebenfalls einen Still- und Wickelraum.
Wer öffentlich stillt, muss natürlich nicht zwangsläufig die Brüste entblößen. Mit Stillschals und –tüchern kann man sich selbst und das Kind ganz einfach vor Blicken schützen. Die Babys kuscheln sich beim Trinken unter das Tuch und die Brüste der Mutter sind nicht sichtbar. In den Stuttgarter Fachgeschäften Korbmayer und Babywalz findet man sicherlich einen Stillschal. Im Grunde genommen reicht aber auch ein großes Tuch, das man sich auf der einen Seite unter den BH klemmt. Angenehm sind zum Beispiel luftige Musselintücher wie es sie bei Hessnatur oder im La Lou Shop der Stuttgarterin Laura Lehmann gibt.
Als wir das erste Mal mit unserem Sohn zu den Schwiegereltern nach Hamburg flogen, bekam er recht schnell Hunger. Also steckte ich ihn unter den Stillschal. Neben mir saß ein Geschäftsmann. Als es plötzlich neben ihm schmatze und rülpste schaute er zunächst ziemlich irritiert. Er hatte nicht bemerkt, dass ich stille.
Tanja Herkert, Mutter eines 1,5 Jahre alten Sohnes.
Spezielle Stillmode ist ebenfalls praktisch. Als Mutter muss man dann nicht den ganzen Bauch entblößen, um an die Brust zu kommen. Im Idealfall ist sie allerdings nicht nur praktisch sondern auch schön. Ansprechende Stillmode findet man unter anderem bei envie de fraise, Tajinebanane, Bae the label, Verbaudet, Boob oder Seraphine.
Das sagt die Nationale Stillkommission
Frauen sollen noch mehr stillen – so klar formuliert die Nationale Stillkommission mit Sitz im Max Rubner-Institut in Karlsruhe ihr Ziel. Nur etwa zwanzig Prozent der Frauen in Deutschland stillen nach Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, die dafür plädiert, Kinder wenn möglich in den ersten sechs Monaten voll zu stillen.
Das möchte die Nationale Stillkommission ändern. Mit gezielten Kampagnen versucht sie das Thema Stillen mehr in die Öffentlichkeit zu rücken und es zu etwas ganz Selbstverständlichem und Natürlichem zu machen.
Das versucht auch Aleyd von Gartzen, Beauftragte für Stillen und Ernährung des Deutschen Hebammenverbandes. Sie setzt sich dafür ein, dass Frauen ohne Angst und Scham genau dort stillen können, wo sie möchten und nicht dort, wo es andere gern hätten.
Sie weiß, dass sich für Mütter, die gerade ein Kind bekommen haben, vieles im Leben ändert. „Wenn sich Frauen dann nicht trauen, in der Öffentlichkeit zu stillen, sind sie stark an ihr Zuhause gebunden. Sie können nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen“, sagt Aleyd von Gartzen. Unter Umständen könne das sogar zu einer postnatalen Depression führen. Tatsächlich haben stillende Mütter wohl häufig Angst vor Zurückweisung. Angst davor, aus einem Café oder Restaurant geschmissen zu werden, wenn sie stillen.
Wie sieht die Rechtsgrundlage in Deutschland dazu aus?
Mit dieser Frage hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages auseinandergesetzt und gibt in einem ausführlichen Artikel Antworten darauf. In Deutschland ist die Zulässigkeit des Stillens von Säuglingen in der Öffentlichkeit nicht explizit durch öffentlich-rechtliche Gesetze geregelt. Das heißt: Es ist weder ausdrücklich verboten noch ausdrücklich erlaubt.
In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Großbritannien oder den USA, sieht die Sachlage anders aus. Dort wurden bereits ausdrückliche Diskriminierungsverbote, die solche Handlungen untersagen, die eine Mutter beim Stillen eines Kindes an öffentlichen Plätzen hindern, erlassen.
In meiner Zeit in London, war ich immer wieder erstaunt wie freizügig die Frauen dort in der Öffentlichkeit stillten. Stillmode und -tücher waren aus ihrer Sicht völlig unnötig. Die Bevölkerung dort nimmt Stillen sehr positiv wahr und es passierte mir mehr als einmal, dass Fremde auf mich zukamen und dafür „lobten“ in der Öffentlichkeit zu stillen.
Tanja Herkert, Mutter eines 1,5 Jahre alten Sohnes.
Theoretisch könnte in Deutschland das Stillen in der Öffentlichkeit nach dem Strafgesetzbuch wegen Exhibitionismus oder Erregung öffentlichen Ärgernisses oder nach dem Ordnungswidrigkeitsgesetz wegen Belästigung der Allgemeinheit bestraft werden. Faktisch greift allerdings keines dieser Gesetze und man kann zusammenfassend sagen, dass das Stillen in der Öffentlichkeit grundsätzlich zulässig ist.
Etwas anders verhält es sich in Gaststätten und Cafés. Dort befindet sich die stillende Mutter nämlich nicht mehr in einem öffentlich-rechtlichen Raum, sondern in den Räumen des Gastwirtes und hier greift das Hausrecht des Gastgebers. Er könnte theoretisch eine stillende Mutter der Gaststätte verweisen, wenn noch kein Bewirtungsvertrag abgeschlossen wurde, es also noch nicht zu einer Bestellung kam. Sofern man aber schon etwas bestellt hat, ist ein Hausverbot gegenüber der stillenden Mutter nur noch bei Vorliegen besonders gewichtiger Sachgründe zulässig.
Das hört sich kompliziert an. Andrea Kästner kann aber auch hier Mütter beruhigen: „In der Realität kommt es nach meinen langjährigen Erfahrungswerten so gut wie nie vor, dass ein Gastwirt eine stillende Mutter des Lokals verweist.“
Was bleibt zu sagen?
Umso mehr Mütter in der Öffentlichkeit stillen, desto selbstverständlicher wird dieses Bild in unserer Gesellschaft sein. Und dann muss sich hoffentlich bald keine Mutter mehr Gedanken darüber machen.