Die Wandersaison startet und viele Familien zieht es in die Natur. Rucksack schultern, Schuhe schnüren, Wanderstock nicht vergessen und los geht’s. Leider ist der Nachwuchs oft weniger begeistert vom Auf und Ab in Wald und Gebirge als die Eltern. Wie wird das Wandern mit Kindern für alle zum schönen Erlebnis? Darüber haben wir mit der Wanderexpertin, Buchautorin und Mutter Natalie Dickmann vom Blog Outdoor-Familien-Glück gesprochen.
BoB.Family: Frau Dickmann, sind Sie als Kind gerne gewandert?
Natalie Dickmann: Ich bin seit meiner Geburt mit dem Wandervirus infiziert. Meine Eltern haben meine kleine Schwester und mich von klein auf mit in die Berge genommen. Wir waren fast jeden Sommer in den Alpen. Außerdem sind wir oft zum Wandern in die Eifel, ins Sauerland oder in die Pfalz gefahren. Mich hat das nie losgelassen. Während andere mit 16 zum Ballermann geflogen sind, war ich mit meiner besten Freundin im Zillertal.
Was haben Ihre Eltern richtig gemacht?
Ich hatte den großen Vorteil, dass meine Schwester dabei war. Wir sind nur 20 Monate auseinander. Ein anderes Kind zieht immer. Und meine Eltern haben sich unterwegs Zeit genommen, um mit uns Bäche zu stauen oder Steine ins Wasser zu werfen. Falls uns doch mal langweilig war, hat mein Vater mit uns Lokomotive gespielt. Das ging so: Jeder hatte links und rechts einen Wanderstock, mein Vater lief vorne und wir Kinder reihten uns hinten an. Dann liefen wir zusammen wie eine Lokomotive mit Waggon. Daran erinnere ich mich gerne. Manchmal haben wir auch Lieder gesungen oder Teekesselchen gespielt.
Wo sind Sie heute am liebsten mit Ihrer Familie unterwegs?
Meine Liebe gilt den Alpen. Da wir in Nordrhein-Westfalen wohnen, sind die nur leider sehr weit weg. Mehr als zwei oder drei Mal im Jahr klappt das nicht. Wir sind auch mindestens ein- bis zweimal in der Eifel und einmal im Sauerland. Mittlerweile wandern wir auch viel direkt vor der Haustür, also am Niederrhein und im Ruhrgebiet. Ich bin manchmal selbst total überrascht, wie viele abwechslungsreiche Ziele es hier gibt.
Viele Kinder reagieren nicht gerade begeistert, wenn man ihnen vorschlägt, einen Spaziergang oder gar eine Wanderung zu machen. Sie haben einen elfjährigen Sohn. Wie verhält er sich?
Mein großes Ziel war es, meinen Sohn fürs Wandern zu begeistern. Das hat zum Glück geklappt. Wenn wir längere Zeit keine Tour mehr gemacht haben, sagt er von sich aus: Ich will mal wieder raus, ich bin schon ganz unruhig. In der Zeit, als ich meine Wanderbücher gemacht habe, waren wir wirklich jedes Wochenende unterwegs. Das war selbst ihm irgendwann zu viel. Ich konnte dann sagen: Bisher hat es dir immer Spaß gemacht, also lass dich darauf ein, es wird gut. Damit konnte ich ihn überzeugen.
Wie motiviert man Kinder, die so gar keinen Bock auf Wandern haben?
Ich habe meinem Sohn versucht zu erklären, dass die Aktivitäten sich die Waage halten sollten. Wenn wir etwas für unseren Körper, unsere Gesundheit und unsere Seele getan haben, können wir danach auch mal etwas Unvernünftiges oder Ungesundes tun. Er darf zum Beispiel nach einer Wanderung einen Film aussuchen, den wir dann zusammen anschauen. Ich finde, es ist legitim, mit Belohnungen zu arbeiten. Auf der Tour gibt es auch mal eine Tüte Gummibärchen, Pommes oder ein Eis.
Andere Kinder mitzunehmen, hilft auch. Wir haben fast immer einen Freund dabei, manchmal auch mehrere. Dann laufen sie eigentlich von alleine. Wenn kein anderes Kind dabei ist, sollte man sich zumindest auf die Interessen und die Themen des Kindes einlassen. Mein Sohn redet gerne über Pokémon. Ich höre mir das dann beim Gehen an und spreche mit ihm darüber, auch wenn ich das selbst nicht so spannend finde.
Natalie Dickmann schreibt seit 2017 den Blog Outdoor-Familien-Glück. Dort berichtet sie von ihren Erlebnissen als Familie in der Natur. Dickmann hat einen elfjährigen Sohn mit dem sie viel wandert, Ski fährt, auf Hütten übernachtet oder Geocaching macht. Sie hat zwei Wanderführer für Kinder verfasst: „Naturzeit mit Kindern: Grüne Oasen im Ruhrgebiet“ und „Naturzeit mit Kindern: „Niederrhein“. (Foto: Crevelt Magazine)
Wie plant man Wanderungen, die Kinder begeistern?
Ich finde es wichtig, immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Jeden Sonntag in denselben Wald zu gehen, ist langweilig. Die Wege sollten möglichst abwechslungsreich sein und ein paar Highlights haben. Das kann ein großer Spielplatz sein, ein Bach oder eine Eisdiele. Wenn das Kind eine Pause machen will, sollte man dieses Bedürfnis auch ernst nehmen. Und egal wie kurz die Runde ist, wir packen immer ein Picknick ein. Das gehört einfach dazu. Kinder haben ja eigentlich immer Hunger. Das ist auch eines meiner Kriterien bei der Planung: Unterwegs muss es eine gute Einkehrmöglichkeit geben, möglichst mit einem Spielplatz nebenan oder einer Spielecke. Alternativ eine schön gelegene Raststelle, vielleicht mit einer überdachten Hütte.
Wie viel Zeitpuffer sollte man einplanen?
Für Erwachsene gelten vier Kilometer pro Stunde als Faustregel. Wer mit kleinen Kindern unterwegs ist, sollte eher von zweieinhalb Kilometern pro Stunde ausgehen. Hinzu kommt mindestens eine weitere Stunde für Pausen.
Worauf kann ich schon vor der Wanderung achten?
Ich erzähle meinem Sohn immer vorher, welche Highlights uns unterwegs erwarten. Vielleicht gibt es ja auch eine spannende Geschichte zu entdecken, zum Beispiel bei einer Burgruine oder bei uns gibt es auch alte Hügelgräber aus dem Zweiten Weltkrieg. Früher durfte er sich auch immer aussuchen, was er gerne mitnehmen wollte. Mal war das ein Teddybär, mal ein Spielzeugauto, ein Fotoapparat oder ein Fernglas. Schon bei der Anreise haben wir versucht, seinen Blick auf die Natur zu lenken, indem wir ihn zum Beispiel auf Kühe an der Straße oder auf ein Reh am Feldrand aufmerksam gemacht haben.
Was zieht man an und was packt man ein?
Ich bekomme die Krise, wenn Kinder in Sandalen auf den Bergen rumlaufen. Kinder haben das gleiche Recht auf gute Schuhe wie Erwachsene. Mein Sohn trägt immer wasserdichte Schuhe mit einer guten Sohle. Gummistiefel sind für längere Strecken nicht geeignet. Bei der Kleidung sollte man auf das Schichtprinzip setzen. Kindern wird schnell warm, wenn sie links und rechts vom Weg rumflitzen. In den Pausen kann man ihnen dann wieder was überziehen.
Mein Sohn hat eine Wanderhose, aber eine normale Jeans tut es auch. Manche Kinder sind stolz, wenn sie selbst einen kleinen Rucksack mit ihren Sachen tragen dürfen. Andere wollen das nicht. Das muss man ausprobieren. Ich würde auch wirklich immer Regensachen einpacken. Wir haben eine kleine faltbare Picknickdecke, die auch wasserdicht ist. Wenn wir keine Bank finden oder alles feucht ist, können wir uns darauf setzen und bekommen keinen nassen Popo.
Muss man als Erwachsener seine eigenen Wanderansprüche zurückstellen?
Ich bin eigentlich immer auf meine Kosten gekommen. Man macht kürzere Strecken, ist aber trotzdem lange unterwegs und entdeckt vielleicht Dinge, die man sonst übersehen hätte. Es ist total schön, die Begeisterung eines Kindes zu wecken und zu erleben, wie es die Natur erkundet und wahrnimmt. Außerdem investiert man in die Zukunft. Als Familie haben wir die Tourenlänge nach und nach gesteigert. Letztes Jahr ist mein Sohn zum ersten Mal über 20 Kilometer gelaufen. Für dieses Jahr haben wir uns 27 Kilometer vorgenommen.
Was mache ich, wenn das Kind plötzlich keinen Schritt mehr weiter will?
Dann ist Kreativität gefragt, um die Situation mit einem Spiel oder einem Lied zu überbrücken. Im Zweifel hilft es auch immer, die Gummibärchentüte zu zücken. Als mein Sohn einmal auf einem Weg absolut nicht weitergehen wollte, hatten wir so ein kleines Spielzeugauto dabei. Mein Mann ist vorausgegangen und hat das Auto versteckt, anschließend durfte es mein Sohn suchen. Man sollte sich gar nicht erst auf dieses Gequengel und Genörgel einlassen oder auf die Idee kommen, das Kind zu tragen. Das ist der größte Fehler, den man machen kann. Dann wird sich das Theater beim nächsten Mal wiederholen.
Für Familien gibt es inzwischen viele Themenwege. Was halten Sie davon?
Solche Wege sind super. Ich finde es total wichtig, dass man solche Anreize für Kinder schafft. In den Alpen, wo im Winter ein Skigebiet ist, gibt es jetzt im Sommer oft Erlebnisstationen und Holzkugelbahnen. Hier am Niederrhein haben wir einen Schmugglerpfad. Da gibt es unterwegs Kletterpassagen und viel zu entdecken. Genau so bringt man Kinder wieder in die Natur.
Was ist, wenn die Kinder einen größeren Altersabstand haben. Wie kann man allen gerecht werden?
Je größer der Altersunterschied desto schwieriger. Für Kinder bis sechs Jahre sollte die Wanderung nicht länger als fünf Kilometer sein. In diesem Alter würde ich auch auf Touren mit wenig Höhenmetern achten. Ich organisiere manchmal Familienwanderungen, wo wir bunt gemischt sind. Da versuche ich, eine Streckenlänge zu wählen, die die Jüngsten gerade noch schaffen. Unterwegs kann man junge und ältere Kinder aber meist noch mit ähnlichen Dingen begeistern. Mein Sohn wirft mit elf Jahren noch genauso gerne Steine ins Wasser wie ein Dreijähriger. Auch ein großer Spielplatz oder ein Aussichtsturm ziehen eigentlich in jedem Alter. Zusätzlich kann man einen Ball mitnehmen, damit die Älteren in der Pause ein bisschen Fußball spielen können.
Welche schöne Tour haben Sie als Familie zuletzt unternommen?
Oh da gibt es viele. Was wir sehr lieben, sind die Premium-Wanderwege, die in den letzten Jahren quer durch Deutschland entstanden sind. Als ich ein Kind war, musste man immer irgendwelchen komischen Zeichen in uralten Wanderführern hinterherlaufen. Die Hälfte der Zeit hat man den Weg nicht gefunden oder sich verlaufen. Am Ende waren alle frustriert.
Die Premium-Wanderwege sind super ausgeschildert und immer abwechslungsreich. Unterwegs gibt es Sitzbänke, Einkehrmöglichkeiten und Picknickplätze. Zuletzt waren wir auf dem Premium-Wanderweg Schwalmbruch unterwegs, entlang der deutsch-niederländischen Grenze. Da kann man unterwegs auch niederländische Pommes essen. Der Weg verläuft ganz nah am Wasser, weil er der Schwalm folgt. In Deutschland ist das ein kleiner begradigter Bach, der auf niederländischer Seite sehr gewunden fließt. Es gab auch einen Aussichtsturm, Heidelandschaft und Wald. Von allem etwas.
Foto oben: Val Vesa/Unsplash