Viele Familien können sich die Mieten in den Großstädten kaum noch leisten. Wer sich nach mehr Platz sehnt, dem bleibt oft nur der Umzug in den Speckgürtel oder gleich aufs Land. Für eine größere Wohnung in der Innenstadt fehlt der finanzielle Spielraum – zumal das Angebot meist überschaubar ist. Kathrin Şahin lebt mit ihrem Mann und drei Kindern (10, 8 und 5 Jahre alt) in Frankfurt. Die fünfköpfige Familie hat sich für einen anderen Weg entschieden. Sie hat sich von 76 Quadratmetern auf 40 Quadratmeter verkleinert. Wir haben mit Kathrin Şahin – auf Instagram bekannt als „Frau Wonnevoll“ – über den Umzug und das Zusammenleben auf engstem Raum gesprochen.
Frau Şahin, Sie sind Mitte 2021 mit Ihrer fünfköpfigen Familie in eine Einzimmerwohnung gezogen. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?
Wir haben vorher im selben Haus in einer Dreizimmerwohnung gelebt. Kurz nach der Geburt unseres dritten Kindes haben wir die Einzimmerwohnung im Erdgeschoss zusätzlich als Büro angemietet. Damals dachten wir: Jetzt haben wir drei Kinder und brauchen mehr Platz. Doch wir kamen an einen Punkt, an dem eine gravierende Veränderung her musste. Wir waren unglaublich gestresst. Ich musste super viel arbeiten, dazu kamen die drei Kinder und der Haushalt.
Die Situation war uns über den Kopf gewachsen und wir hatten einen Punkt erreicht, an dem wir nichts mehr zu verlieren hatten. Die Beziehung zwischen meinem Mann und mir stand auf der Kippe. Wir beschlossen: Eine Wohnung muss weg. Die Entscheidung fiel uns am Ende leicht. Behalten wollten wir die Einzimmerwohnung. Auch wegen des Gartens, der dazu gehört. Wir haben uns nach einem ruhigen Ort im Grünen gesehnt. Es war der letzte Ausweg: Entweder wir schaffen es so oder wir verlieren uns als Familie.
Fühlen Sie sich nun freier?
Unsere finanzielle Situation ist deutlich entspannter. Durch die kleinere Wohnung zahlen wir viel weniger Miete. Wir können mehr Familienurlaube machen, mehr Ausflüge unternehmen, spontaner sein. Mein Mann konnte seine Arbeitszeit reduzieren. Das alles hat zu mehr Ruhe in unserem Alltag geführt. Es heißt ja oft, wenn man Familie hat, muss man das so und so machen – von dieser inneren und äußeren Erwartungshaltung haben wir uns befreit.
Für den Umzug mussten Sie sich von vielen Dingen trennen. Wie sind Sie vorgegangen?
Zuerst habe ich es so gemacht, wie man es nicht machen sollte. Ich habe in einer Ecke angefangen und dann hier und da etwas ausgeräumt. Relativ schnell entstand ein Riesenchaos. Mein Glück war, dass wir am Anfang noch beide Wohnungen hatten. Irgendwann sind wir einfach umgezogen. Die größere Wohnung haben wir parallel mindestens noch ein halbes Jahr lang behalten. In dieser Zeit war ich mit Ausmisten beschäftigt. Das war ein anstrengender Prozess, der mich auch emotional sehr mitgenommen hat.
Wir haben mehr als die Hälfte unserer Sachen aussortiert. Die Berge wuchsen und wuchsen. Am Ende hatte ich vier Haufen: Das behalten wir, das verkaufen wir, das spenden wir, das kommt in den Müll. Ich war froh, als es vorbei war.
Vermissen sie etwas?
Wir haben keinen Backofen. Aber das war eine bewusste Entscheidung. Beim Umzug mussten wir zwischen Spülmaschine und Ofen wählen, für beides war in der neuen Küche kein Platz. Ich hatte keine Lust, jeden Tag für fünf Leute zu spülen, da war meine Präferenz klar. Im Alltag fehlt der Ofen ab und zu. Unser jüngstes Kind backt unheimlich gerne Kuchen und fragt mindestens einmal im Monat danach. Mir tut es leid, dass ich ihm diesen Wunsch nicht erfüllen kann. Ansonsten fehlt mir nichts.
Mein Tipp: Wenn man sich nicht sicher ist, ob man Dinge noch braucht, sollte man sie erst einmal in eine Kiste packen. Die stellt man dann für ein halbes Jahr in den Keller oder in einen Schrank. Wenn man die Sachen in dieser Zeit nicht vermisst, können sie weg.
Gibt es Dinge, die jede Familie zu Hause hortet, die aber eigentlich überflüssig sind?
Wir haben vor allem in der Küche viel ausgemistet. Viele Dinge haben wir nicht wirklich gebraucht, zum Beispiel einen Kartoffelstampfer. Für die meisten Spezialgeräte gibt es Alternativen. Auch zig Förmchen zum Plätzchen- und Kuchenbacken haben wir aussortiert. Das hängt aber stark von den eigenen Prioritäten ab. Ich koche nicht gerne. Anderen fällt es vielleicht leichter, sich von Deko-Gegenständen zu trennen. Ich habe auch gelernt: Viele Dinge muss man nicht selber besitzen. Man kann sie sich genauso gut leihen. Wir haben hier im Haus eine sehr nette Gemeinschaft. Wenn etwas fehlt, kann ich in unserer WhatsApp-Gruppe fragen. Wir unterstützen uns als Nachbarn gegenseitig, das ist ein schönes Miteinander.
Sie wohnen in einem Altbau mit hohen Decken. Ihre Kinder schlafen auf einer eingezogenen Zwischenebene im Flur, Sie und Ihr Mann im Wohnzimmer. Viele Möbel nutzen Sie multifunktional. Können Sie einige Beispiele nennen?
Unser Sofa besteht aus zwei übereinander liegenden Boxspringmatratzen. Tagsüber liegen Kissen darauf. Abends wird daraus das Bett von meinem Mann und mir. Wir legen die Matratzen nebeneinander und holen die Bettwäsche aus dem Schrank. Auch unser kleiner Esstisch ist vielseitig einsetzbar. Er lässt sich an beiden Seiten ausziehen, sodass wir schon zu zehnt daran gesessen haben. Wir haben keinen einzigen Stuhl mit Rückenlehne, sondern Hocker, die man platzsparend übereinander stapeln kann. Manchmal benutze ich den Tisch auch als Schreibtisch.
Als „Frau Wonnevoll“ schreibt Kathrin Şahin auf Instagram über Minimalismus und Mode.
Wie wichtig ist es, in der kleinen Wohnung Ordnung zu halten?
Nicht wichtiger als früher. Ich habe schon immer den Anspruch, dass es zu Hause ordentlich ist. Ich brauche eine aufgeräumte Umgebung, um einen klaren Kopf zu haben. Allerdings fällt es mir in der Einzimmerwohnung leichter, Ordnung zu halten. Zum einen haben wir viel weniger Zeug. Zum anderen hat jetzt alles seinen festen Platz.
Natürlich herrscht auch bei uns manchmal Chaos. In den letzten Ferien war das Wetter schlecht, und wir haben viel Zeit in der Wohnung verbracht. Die Kinder haben ihre Spielsachen überall verteilt. Trotzdem schaffe ich es, dass abends alles wieder an seinem Platz ist. Wir haben uns auch einige praktische Dinge einfallen lassen. Die Garderobe im Flur hat zum Beispiel einen Vorhang, den wir zuziehen können. Manchmal stelle ich dahinter Sachen ab.
Helfen die Kinder beim Aufräumen?
Es gibt ein paar Regeln. Vor einem Jahr haben sie sich zum Beispiel gewünscht, dass ihre Klamotten oben auf ihrer Hochebene sind. Vorher hatten wir alle Kleider im Wohnzimmer. Wie so oft, haben die Kinder ihre Wünsche nicht zu Ende gedacht. Denn jetzt lege ich ihnen die Wäsche zusammen, und sie müssen sie selbst oben ordentlich in den Schrank räumen. Darüber beschweren sie sich manchmal. Aber im Großen und Ganzen klappt das.
Fehlt Ihnen manchmal der Rückzugsraum?
Wir haben oft Kinderbesuch. Das funktioniert erstaunlich gut. Am Wochenende waren zum Beispiel an beiden Tagen zwei Freundinnen da. Die Kinder haben sich aufgeteilt. Zwei haben auf der Hochebene gespielt, die anderen im Wohnzimmer. Zwischendurch waren sie im Garten. Mein Mann und ich haben uns in die Küche zurückgezogen. Manchmal belagern die Kinder auch das Wohnzimmer, und wir Eltern gehen auf die Hochebene, wenn wir Ruhe brauchen. Privatsphäre fordern unsere Kinder nicht ein, dafür sind sie wohl noch zu jung. Im Moment genießen sie die gegenseitige Gesellschaft.
Sie setzen auf bewussten Konsum. Was bedeutet das konkret?
Früher habe ich super viel Deko gekauft. Das mache ich jetzt gar nicht mehr. Manchmal basteln die Kinder etwas, zum Beispiel Sterne für Weihnachten. Sonst ist seit unserem Umzug nichts Neues dazu gekommen. Meine Leidenschaft ist Mode. Deshalb muss ich mich vor allem beim Kleiderkauf zügeln. Ich versuche, mich auf das zu konzentrieren, was mir wichtig ist. Mein Mann geht gerne auswärts essen und schätzt generell gutes Essen. Ansonsten gibt er eigentlich kein Geld für Konsumartikel aus.
Wir versuchen uns im Alltag immer zu fragen: Brauchen wir das wirklich? Benutzen wir das? Können wir das vielleicht durch etwas anderes ersetzen? Bevor wir etwas kaufen, schlafen wir ein paar Nächte darüber.
Was bedeutet der selbst gewählte Verzicht für Ihre Kinder?
Für unsere Kinder gilt das Minimalismus-Prinzip nicht. Wir unterscheiden da klar. Als wir ausgemistet haben, durften sie alles behalten, was sie wollten. Auch über ihr Taschengeld können sie frei verfügen. Natürlich versuchen wir den Kindern unsere Vorstellungen zu vermitteln. Aber am Ende entscheiden sie selbst, ob sie zum Beispiel das Plastikspielzeug wirklich haben wollen.
Wie hat sich eure Partnerschaft und euer Familienleben durch den Umzug verändert?
Unser Alltag ist sehr viel ruhiger geworden. In unserer alten Wohnung war es immer sehr laut, es ging oft wild zu. Nun achten wir mehr aufeinander. Wir haben mehr gute Momente, auch die drei Kinder untereinander. Ich glaube, durch die räumliche Enge haben wir mit der Zeit gelernt, Rücksicht aufeinander zu nehmen, dem anderen auch mal den Vortritt zu lassen. Mein Mann und ich haben unsere Mitte gefunden, das wirkt sich natürlich auf die Stimmung in der Familie aus.
Auf der Paarebene gibt es immer noch Höhen und Tiefen, Konflikte lösen sich nicht von heute auf morgen. Aber wir merken, dass wir wieder mehr Freiheiten haben, auch weil die Kinder jetzt älter sind. Mindestens einmal in der Woche gehen wir zu zweit spazieren. Walk and Talk nennt mein Mann das. Natürlich war von Anfang an klar, dass die 40 Quadratmeter keine Option für die Ewigkeit sind. Irgendwann werden auch unsere Kinder mehr Privatsphäre einfordern und die Wohnung wird zu klein. Aber diese Erfahrung hat unser Leben auf jeden Fall bereichert.