Zähneputzen ist wichtig, völlig klar. Aber was ist, wenn es jeden Tag zum Machtkampf ausartet?
Inke Hummel ist bindungsorientierte Erziehungsberaterin und Autorin mehrerer Elternratgeber. Im Interview verrät sie Tipps, warum kleine Kinder sich oftmals gegen das Zähneputzen wehren und was Eltern dann tun können.
„Kinder spüren, ob wir etwas aus Machtmissbrauch machen, oder weil wir ihnen etwas Gutes tun wollen“, sagt Autorin Inke Hummel. Foto: Privat
- BoB Family: Warum baut das Thema Zähneputzen bei vielen Eltern Stress auf?
- BoB Family: Warum wehren kleine Kinder sich oftmals gegen das Zähneputzen?
- BoB Family: Was können Eltern tun, um Kinder sanft zum Zähneputzen zu überreden?
- BoB Family: Ist die Erzählung von Karius und Baktus für Kinder heute noch zeitgemäß?
- BoB Family: Was kann man tun, wenn die sanften Überredungsversuche zum Zähneputzen nicht helfen?
- BoB Family: Aber gefährdet das nicht die sichere Bindung?
- Bob Family: Können auch Videos beim Zähneputzen eine Lösung sein?
BoB Family: Warum baut das Thema Zähneputzen bei vielen Eltern Stress auf?
Hummel: Viele Eltern haben einen inneren Konflikt. Auf der einen Seite steht die Verantwortung für die Zahngesundheit ihres Kindes. Auf der anderen Seite bringen wir Kindern heute bei: „Dein Körper gehört dir.“ Im Sinne von: Nur du entscheidest, was damit passiert.
Ich rate Eltern inzwischen dazu, diese Formulierung nicht mehr zu verwenden. Stattdessen kann man zu seinem Kind sagen: „Sprich immer aus, wenn du ein Nein-Gefühl hast. Dann gucken wir, was wir damit machen.“ Zweijährige Kinder haben noch nicht die Reife, zu überblicken, was passiert, wenn wir ihre Zähne nicht putzen. Diese Verantwortung sollte man nicht an Kinder abgeben.
BoB Family: Warum wehren kleine Kinder sich oftmals gegen das Zähneputzen?
Hummel: Im Alter von zwei Jahren beginnt die Autonomiephase, die bis zum fünften Lebensjahr andauern kann. Die Kinder merken erstmals, dass sie keine Einheit mit ihren Eltern sind, sondern ein einzelner Mensch, mit einem eigenen Willen. Noch dazu sind Kinder vom Denken in diesem Alter sehr bei sich. Man spricht von Egozentrik, das ist aber nicht negativ gemeint. Die Kinder können die Perspektive der Eltern noch gar nicht mitdenken.
Kinder probieren in diesem Alter, Grenzen auszutesten. Ohne böse Absicht, sondern einfach durch das Streben nach Autonomie. So entsteht das Wehren beim Zähneputzen. Wie stark diese Phase ausfällt, hat auch ein bisschen mit dem Wesen des Kindes zu tun und damit, wie viel Druck Eltern ausüben.
„Nicht zu streng, nicht zu eng: Dein sicherer Weg zwischen Schimpfen und falschem Verwöhnen.“ – Von Inke Hummel, Humboldt, 2022.
BoB Family: Was können Eltern tun, um Kinder sanft zum Zähneputzen zu überreden?
Hummel: Ausprobieren kann man vieles. Manche Eltern versuchen es mit Humor, bei anderen klappt es spielerisch. Auch ein Kompromiss kann helfen, nach dem Motto: Ich putz dir die Zähne und du mir.
Wenn gar nichts davon klappt, kann man auch einen Schritt zurückgehen, damit das Kind merkt: Wir bleiben zugewandt, aber wir kämpfen nicht so oft. Vielleicht putzt man eine Woche lang nur einmal am Tag die Zähne. Oder vor dem Abendessen, wenn das Kind noch nicht so müde ist. Auch andere Hilfsmittel können für eine kurze Zeitlang eine Alternative sein. Es gibt spezielle Lollies zur Zahnpflege und Gurgellösungen. Das ist nicht das gleiche, wie die Zähne zu putzen, aber es kann eine Unterstützung sein.
Manchen Eltern hilft es auch, andere Menschen mit einzubeziehen. Die Nachbarin oder den Kinderzahnarzt, weil die vielleicht einen anderen Zugang zum Kind finden. In den meisten Fällen ist es nur eine Phase, dass Kinder das Zähneputzen ablehnen.
BoB Family: Ist die Erzählung von Karius und Baktus für Kinder heute noch zeitgemäß?
Hummel: Solche Geschichten können von Kindern ganz unterschiedlich aufgenommen werden. Bei zwei meiner Kinder hat das gut geholfen. Aber mein drittes Kind hatte Mitleid mit Karius und Baktus und wollte dann auch nicht mehr die Zähne putzen, weil die am Ende der Geschichte ja ausgespuckt werden. (lacht)
BoB Family: Was kann man tun, wenn die sanften Überredungsversuche zum Zähneputzen nicht helfen?
Hummel: Ich hatte in der Beratung schon Eltern, die es nicht geschafft haben, die Verantwortung für das Zähneputzen zu übernehmen. Das kann auch persönliche Hintergründe haben. Die mussten später mit ihren fünfjährigen Kindern unter Vollnarkose zur Zahn-OP gehen.
Kooperation lässt sich mit keinem Trick erzwingen. Wenn das Kind sich trotz aller Versuche nicht auf das Zähneputzen einlässt, dann müssen Eltern sich fragen: Was hilft meinem Kind nachhaltig? Die Zähne müssen ja geputzt werden. Notfalls auch einmal am Tag mit Geschrei.
BoB Family: Aber gefährdet das nicht die sichere Bindung?
Hummel: Natürlich ist es unangenehm, wenn man sich vorstellt, man kriegt etwas in den Mund gedrückt. Aber es passiert ja nicht ohne Kontext. Kinder spüren, ob wir etwas aus Machtmissbrauch machen, oder weil wir ihnen etwas Gutes tun wollen.
Wenn ein Kind plötzlich auf die Straße rennt, würden Eltern es auch festhalten. Danach wäre die Beziehung nicht kaputt, das Kind nicht sofort traumatisiert. Es kommt immer darauf an, ob wir eine gute Beziehung miteinander haben, Kinder grundsätzlich ernstnehmen und wie wir hinterher darüber sprechen.
Bob Family: Können auch Videos beim Zähneputzen eine Lösung sein?
Hummel: Wenn Eltern morgens zwei Stunden versuchen, ihrem Kind die Zähne zu putzen, dann tut das niemandem gut. In solchen Fällen kann ich es verstehen, wenn Eltern das Tablet zur Hilfe nutzen. Ich rate nur immer dazu, dass das nicht die erste Lösung sein darf. Mit der Zeit sollte man das auch wieder ausschleichen.
Ich habe schon Familien erlebt, in denen sechsjährige Kinder nichts mehr gemacht haben, wenn sie kein Video gucken durften – vom Frühstücken bis zum Schuhe anziehen. Da muss man immer ein bisschen aufpassen, dass sich das die Waage hält.
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