Lange hast du auf diesen Moment gewartet – die Geburt startet und die Wehen kommen. Während einer Wehe ist die Anspannung groß. Du bist aufgeregt, dein Puls geht in die Höhe. Vielleicht empfindest du auch Angst. Um zu verhindern, dass sich eine Spirale in Gang setzt, habe ich 5 Tipps für den Umgang mit Wehen.
Tipp 1: Körperspannung reduzieren
Um die Schmerzen während der Wehen zu lindern, hilft es Körperspannung zu reduzieren. Aber wie?
Am besten so:
- Stell dich an eine Wand.
- Lege einen Unterarm in Kopfhöhe an die Wand.
- Lege deine Stirn auf den Unterarm. Gib dabei das Gewicht deines Kopfes vollkommen ab. Spürst du die beruhigende Wirkung?
- Spüre deine Füße und den Boden unter dir. Der Boden hat Kraft. Wenn du es schaffst deine Füße tatsächlich zu spüren, merkst du (also dein aufgebrachtes Nervensystem), dass du in Sicherheit bist. Das sendet Signale an dein Gehirn: Bin in Sicherheit! Ich darf mich entspannen! Das geht nicht von 100 % auf 0 %, das funktioniert in Etappen: Von 100 % auf 80 %, von 80 % auf 60 %, usw. Warum? Weil ein erregtes Nervensystem Zeit und Impulse braucht um runterzufahren. Beruhigende Gedanken helfen dir dabei. Natürlich solltest du das vorab ein paarmal geübt haben.
- Jetzt lass deine Knie weich werden. Beuge sie ein wenig. Gerade so, dass sie nicht durchgestreckt sind. Nein, nicht so viel, dass die Oberschenkel unter starker Anspannung stehen. Wir wollen ja den Körper dazu überreden, weicher zu werden und Spannung abzubauen, also nicht schon wieder neue Anspannung erzeugen durch zu viel sportlichen Ehrgeiz. Überhaupt: Ehrgeiz passt gar nicht gut zum Gebären. Eigentlich will die Wehe ja gar nichts anderes erreichen als dieses Weiche‑Knie‑Gefühl. Dadurch geht sie leichter durch den Körper, und der Muttermund öffnet sich leichter. Also: Versuche keinen Widerstand zu leisten. Meine Erfahrung: Je weicher die Knie desto leichter die Geburt.
Diese Woche bekam meine Lieblingsnichte ihr erstes Baby. Um 9 Uhr in der Früh rief sie mich an. „Hatte die ganze Nacht Wehen. War in der Klinik. Die haben gesagt, der Muttermund ist erst einen halben Zentimeter geöffnet. Ich soll heimfahren und mich entspannen. Wie soll das gehen nach einer halben Nacht Wehen und der ganzen Aufregung?“
Nachdem ich ihr meine besten Entspannungstipps gegeben hatte, sagte ich: „Ich bin froh, dass du so groggy bist. Du hast viel zu viel Kraft, wenn du ausgeschlafen bist. Wie ich dich kenne, würdest du diese Kraft nur gegen die Wehen und gegen die Öffnung des Muttermundes einsetzen. Ich freue mich, dass du müde in die Geburt gehst. Dann kann die Geburt durch dich hindurch wehen und ihren Job machen, weil du zu fertig bist, um deinen Widerstand aufrecht zu erhalten.“
Was ich damit sagen will: Starke Frauen können lernen, ihre Kräfte einzuteilen. Und sie können lernen, ihren Körper loszulassen.
Also:
- weiche Knie
- Kopf aufstützen
- sich an jemanden dranhängen (bestenfalls Partner oder Doula)
- Füße spüren
- Boden spüren
- Wärme auflegen
- Kreuzbein-Druckmassage
- ab in die Badewanne
Tipp 2: Angst reduzieren
Angst vor den Wehen ist normal.
Wenn du ein gutes Körpergefühl besitzt und dich sehr klar und schnell selbst verorten kannst, wirst du feststellen, dass dich Gedanken überfluten. Diese Gedanken lösen Gefühle aus, die dich in Anspannung versetzen. Dieses „Zusammenziehen“ findet auf allen Ebenen statt. Treten negative Gedanken auf, bist du gefordert, sie klar zu benennen:
- Ich schaff es nicht!
- Ich bin zu verspannt!
- Ich habe zu viel Angst!
- Es tut mehr weh, als ich dachte!
- Ich kann das nicht!
- Heute passt es mir gar nicht!
Deiner Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Aber, das kennen wir ja: In Stresssituationen melden sich die ungeheuerlichsten Angstmachergedanken. Als hätte das Gehirn nur darauf gewartet, loslegen zu können mit hinderlichen Gedanken, die natürlich sehr geeignet sind, die Angst nicht nur am Laufen zu halten, sondern immer weiter zu verstärken.
Sag „Stopp!“ zu solchen Hirnstrudeln! Das sind Wellen, die unnötige Aufwirbelungen erzeugen. Sag „Stopp!“ und setze ihnen deine Wahrheit entgegen:
- Das, was ich da fühle, ist eine Kontraktion.
- Die tut weh, das ist okay.
- Das ist nur eine Wehe. Wie eine Welle. Die kommt und geht.
- Sie öffnet den Muttermund, und das ist gut so.
- Ich lasse das geschehen.
- Ich kann die eine Minute gut schaffen, und dann ist ja wieder Pause.
- Die Pause dauert länger als die Wehe.
- In der Pause fahre ich runter und genieße.
- In der Pause ist mein Körper entspannt.
- In der Pause ist alles gut.
Die Frauen, die eine glatte und leichte Geburt hatten, berichten mir fast immer von Sätzen wie:
Ja gut, die Wehen waren super anstrengend, aber ich konnte die Pause gut nutzen um zu entspannen.
Die Atmung hat mir sehr geholfen. Deshalb gleich zu Punkt 3.
Tipp 3: Atmen
Jede Wehe kommt. Jede Wehe geht.
Begrüße die Wehe mit einem tiefen Atemzug zum Baby. Ja, tief in den Bauch. Bauchatmung muss man üben, denn viele Frauen haben eine Tendenz, nur „obenrum“ zu atmen. Man erkennt es daran, dass sich das Dekolleté dabei deutlich hebt und senkt.
Das wäre dann die Brustatmung. Die ist hier leider nicht sehr hilfreich.
Lass also deinen Atem in den Bauch fließen. Lege die Hände auf den unteren Bauchraum, fast zum Schambein hin, und spüre, ob die Atembewegung dort ankommt. Ob sich dort der Bauch bewegt. Sich beim Einatmen hebt, und beim Ausatmen absenkt.
In meiner Mediathek findest du dazu eine kostenlose Atemanleitung.
Tipp 4: Imagination
Du brauchst eine Imagination, die zu dir passt.
Falls dir eine Freundin erzählt, wie sie sich während der Wehe eine öffnende Blüte vorgestellt hat, und dass das gut geholfen hat, muss das nicht heißen, dass du das gleiche innere Bild als hilfreich empfindest. Suche dir das Bild, das für dich genau das ausdrückt was passiert:
- Ein Tunnel öffnet sich.
- Das Baby kommt durch etwas Dunkles ans Licht der Welt.
- Der Muttermund streift sich wie ein Rollkragenpullover über den Kopf deines Kindes und zieht sich von selbst zurück.
- Das Baby schlüpft wie durch einen Pulloverhals ins Leben hinaus.
Wenn dir das zu gruselig ist, stell dir einfach vor: Jedes Ausatmen ist ein Aufmachen.
Oder denke JA. Oder einfach A. Denn das A ist unten weit. Der Buchstabe drückt eigentlich die ganze Sache sehr gut aus. Oben schmal (Kopf ausschalten), unten weit (das Becken macht auf). Oder stell dir vor, wie du diese Wehe als Welle spürst, und durch sie hindurchtauchen kannst. Oder oben drauf reitest?
Das sind nur Beispiele. Was ist dein Bild? Was passt zu dir? In einem guten Geburtsvorbereitungskurs lernst du, eigene innere Bilder zu entwickeln, die sehr persönlich sein können.
Später, wenn die Wehen‑Wellen dich schon weit gebracht haben, und die Trance schon eingetreten ist, die alles leichter macht, dann kannst du auch gerne bei jeder Wehe denken: EGAL – EGAAAAAAL. Durch die Gebärhormone, die jetzt in großer Menge in dein Gehirn fluten, stimmt das auch: Nachdem der Muttermund ca. sieben bis acht Zentimeter geöffnet ist, ist dir allmählich alles „Sehr‑Egal“.
Tipp 5: Berührung und Massage
Es kann sein, dass du während der Geburt keine Berührungen ertragen kannst.
Das ist für deinen Partner sicher schwer zu ertragen. Eine professionelle Geburtsbegleitung (z. B. eine Doula) würde das schnell akzeptieren und in einer liebevollen und unterstützenden inneren Haltung bleiben. Sie würde dich so nehmen wie du grade bist. Mit allem Drum und Dran. Auch mit deinem Bedürfnis, lieber nicht angefasst zu werden.
Ein Mann, der von sich selbst erwartet, dass er nur dann ein guter Helfer ist, wenn er dich berührt, kann leicht in eine „beleidigte Leberwurst“ mutieren. Niemand kann es gut ertragen wenn er abgelehnt oder abgewiesen wird.
Auch da ist schnell klar: Enttäuschung ist eine Frage der vorausgegangenen Erwartung.
Hoffentlich habt ihr die beliebtesten Massagegriffe vorab ausprobiert. Und geklärt, welche Art von Berührung dir gut tut. Auch bei Stress.
Wie wäre es, wenn du beim nächsten Riesenärger mit deiner Umgebung mal ein Experiment wagst? Erkläre deinem Partner, dass du heute etwas erlebt hast, das dich richtig aufregt. Oder dir Angst macht. Oder dich empört.
Sag einfach: Heute war ich sehr aufgewühlt, und ich möchte, statt drüber zu reden, mal ausprobieren, ob mir eine Massage hilft. Und dann spielt ihr einfach die Berührungsübungen durch, die ihr im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habt. Ein Anleitungsvideo zu Berührungsübungen findest du in meiner Mediathek.
Wenn dann der Ärger verfliegt oder unwichtiger wird oder du das Geschehene besser einordnen kannst, weil du statt “ Kopf“ und Sorgen-Wälzen, “ Körper“ und wohlige Empfindungen hattest, ist der Tag gerettet.
Und mach bitte danach nicht den Fehler, die Story doch noch zu erzählen. Denn dann ist es wieder vorbei mit dem schönen Body‑Bliss, dem Körperglück, das uns oft fehlt, um das Kopfkino und das Sorgenkarrusel auszubremsen.
Hier noch ein paar Tipps:
- Manche Frauen brauchen festen Druck auf Stellen, die weh tun, und fühlen sich dadurch sehr erleichtert und unterstützt.
- Manche Frauen profitieren eher von zarten Streicheleinheiten, die wohlige Schauer erzeugen, und den Vagusnerv stimulieren.
- Manche Frauen tauchen richtig ab in eine eigene „Blase“, in der sie sich sicher fühlen und die sehr beschützend sein kann. Die sollte man nicht stören. Das muss der Partner natürlich wissen, damit er sich innerlich zurücklehnen kann und weiß: Meine Frau macht das schon. Die braucht jetzt ihre Ruhe. Ihren Space.
Finde also heraus, welche Art der Berührung du wirklich brauchst, um loslassen zu können. Was nervt? Was nützt? Wie kannst du besser abtauchen in deine innere Welt der Geburt? Dann ist der eingangs erwähnte Teufelskreis schnell durchbrochen und du erlebst das Gegenteil:
- Die Körperspannung lässt nach,
- was zu weniger Angst führt,
- was das Schmerzgefühl lindert,
- was die Anspannung vermindert,
- …
Du siehst schon, worauf das Ganze hinausläuft: Ein geringeres Schmerzempfinden bei den Wehen, und eine leichtere Öffnung des Muttermundes. Was wir damit erreichen wollen? Eine Geburt, die du als gut machbar empfindest, wodurch du in den Pausen herunterfahren und loslassen kannst.