Es ist ganz normal, dass viele werdenden Eltern eine Präferenz des Geschlechts ihres Babys haben. Die einen wünschen sich nichts mehr als ein Mädchen. Andere träumen davon Jungsmama oder Jungspapa zu werden. Was aber, wenn die Enttäuschung über das „falsche“ Geschlecht des Babys einen überwältigt?
- Was ist „Gender Disappointment“?
- Warum wünschen sich viele überhaupt einen Jungen oder ein Mädchen?
- Mit alten Rollenvorstellungen brechen
- Wie kann man die Enttäuschung über das Geschlecht des Babys überwinden?
- Wenn die Enttäuschung bleibt
- Wo finde ich Hilfe?
- «Sex Selection» – das passende Geschlecht auf Bestellung
- Weiterführende Informationen und Hilfsangebote
Was ist „Gender Disappointment“?
„Gender Disappointment“, die Enttäuschung über das Geschlecht des eigenen Babys ist bei uns noch immer ein Tabuthema. Vor allem viele werdende Mütter trauen sich oft nicht, offen darüber zu sprechen. Doch es geht vielen werdenden Eltern so und es gibt Hilfe.
Wenn das Baby nicht das erhoffte Geschlecht hat, sagen sich viele künftige Mütter und Väter: „Egal. Hauptsache, unser Kind ist gesund.“ Doch es gibt auch Eltern, die eine unüberwindbare Enttäuschung und tiefe Traurigkeit empfinden. Sie können sich weder gedanklich noch emotional davon lösen, nicht die gewünschte Tochter oder den erhofften Sohn zu bekommen.
Die Frustration kann so tief sitzen, dass sie zu einer krankhaften Gemütsstörung führt. Während der Schwangerschaft, aber auch darüber hinaus kann dies die Bindung zum Kind stören. Wissenschaftlich ist dieses Phänomen noch viel zu unerforscht. Genaue Zahlen, wie viele Eltern betroffen sind, gibt es aktuell nicht. Kann eine Mutter ihr Neugeborenes nicht lieben, spricht man von der „postnatale Depression“. Hierzu liegen bereits einige Studien vor.
Warum wünschen sich viele überhaupt einen Jungen oder ein Mädchen?
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, eine Vorliebe für ein bestimmtes Geschlecht des eigenen Babys zu hegen. Wir versuchen, auf der einen Seite vehement mit klassischen Geschlechterrollen zu brechen. Auf der anderen Seite sind es aber doch oft die alten Stereotype und geschlechtsspezifischen Rollenvorstellungen, die uns beeinflussen. Der Vater wünscht sich ein Jungen. Einen Stammhalter zum Fußball spielen. Die Mutter träumt von einem Mädchen, das Nagellack und schöne Kleider liebt.
Auch die eigene Biografie spielt oft eine große Rolle. Viele wünschen sich eine Familienzusammensetzung, wie sie es selbst erlebt haben und idealisieren z. B. ein Junge und ein Mädchen. Vielleicht sieht man sich auch überfordert mit dem jeweils anderen Geschlecht.
Darüber hinaus gibt es leider auch noch immer Kulturkreise, in denen Jungs „mehr wert“ sind als Mädchen.
Mit alten Rollenvorstellungen brechen
Wie cool sind denn bitte Fußball spielende Mädchen? Kann sich ein Junge die Nägel nicht auch einfach bunt lackieren und es super finden? Es ist nur sehr bedingt möglich, Einfluss auf den Charakter eines anderen Menschen zu nehmen. Wir neigen gern dazu, viele eigene Wünsche in unsere Kinder hinein zu projizieren. Doch Wunschvorstellung hin oder her: Vielleicht hat der Junge gar keinen Bock auf Ballspiel und will lieber tanzen. Jedes Kind ist ein wundervolles Individuum, das ganz eigene Vorstellungen und Interessen entwickeln wird.
Wie kann man die Enttäuschung über das Geschlecht des Babys überwinden?
Doch wie kann man die Enttäuschung darüber, dass das Baby ein nicht das Wunschgeschlecht hat überwinden? Ganz wichtig ist, sich nicht schuldig oder schlecht zu fühlen. Wahrscheinlich geht es auch einigen anderen Eltern so. Es ist eine Situation, über die man nicht redet, zu stark ist der Scham, den man empfindet. Doch es ist wichtig, seinen Gefühlen einen Raum zu geben und sie zuzulassen: den Frust, die Traurigkeit, vielleicht auch Wut. Viele werdende Eltern entlastet bereits dieser Umstand, dass Gefühle einfach da sein dürfen. Unkommentiert.
Im nächsten Schritt ist es wichtig, mit dem:der Partner:in und engsten Vertrauten darüber zu sprechen. Oft gehen die Gefühle und es bleibt pure Freunde auf ein gesundes Kind, egal ob Junge oder Mädchen.
Wenn die Enttäuschung bleibt
Wenn die Enttäuschung einnehmend und belastend wirkt. Wenn die schlechten Gefühle nicht verschwinden wollen, dann ist es ganz wichtig, sich Hilfe zu holen. Mütter und Väter, die vor und nach der Geburt noch Probleme mit dem Geschlecht ihres Kindes haben. Denen es schwerfällt, eine Bindung aufzubauen, Liebe zu spüren, diese Eltern brauchen dringend Unterstützung.
Mit professioneller Hilfe ist es an dieser Stelle nötig, der Frage nachzugehen, warum man so enttäuscht reagiert. Oft hat dies mit der eigenen Biografie zu tun. Die eigene Identität als Frau oder Mann spielt eine Rolle, aber auch die Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit. Es gibt spezielle Erfahrungen in der Kindheit, die der Auslöser sein können. Da ist der Bruder, der wie ein kleiner Prinz behandelt wurde oder eben die Schwester, die immer bevorzugt wurde. Vielleicht eine sehr schwierige Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die man nicht wiederholen mag. All das sind Dinge, die in einer Therapie aufgedeckt und bearbeitet werden können – für einen selbst und für das Kind.
Wo finde ich Hilfe?
Wenn eine gute Basis mit der Frauenärztin /dem Frauenarzt besteht, kann sie/er erste Hilfe sein. Sie können die Problematik ggf. schon ein Stück weit einschätzen und weiter Hilfen und nützliche Kontakte vermitteln. Oft haben sich auch Hebammen auf Ängste und Schwierigkeiten rund um die Schwangerschaft und Geburt spezialisiert (Emotionelle Erste Hilfe).
Elternberatung sind Anlaufstellen, die sich mit dieser Thematik auskennen. Viele Geburtskliniken bieten eine Art Erste Hilfe für emotionale Schwierigkeiten nach der Entbindung an. Es gibt verschiedene Therapieangebote, die bereits während der Schwangerschaft hilfreich sein können. Weiter unten haben wir ein paar nützliche Links zusammengestellt.
«Sex Selection» – das passende Geschlecht auf Bestellung
Einen Jungen oder ein Mädchen auf Bestellung. In Amerika ist dieser Trend unter dem Namen „Sex Selection“ bekannt. Die Gesetzeslage erlaubt hier die Sortierung der befruchteten Eizellen nach Geschlecht. Paris Hilton machte damit bereits Schlagzeilen. Zudem spielt in den USA auch das Marketing der entsprechenden Kliniken und Institute eine große Rolle, die eben Begriffe wie „Gender Disappointment“ oder „Family balancing“ prägen.
Es sind neuste Technologien der Reproduktionsmedizin, die all dies ermöglichen. In Amerika wurde hierzu das Microsort-Verfahren entwickelt. Kurzgesagt ist dies eine Technologie zur Sortierung der Spermien die, die ein Mädchen gebären lassen (X-Chromosomen) und die, die einen Jungen gebären lassen (Y-Chromosomen). Da es sich hier um ein Verfahren handelt, das keine 100%ige Sicherheit in der Auswahl des Geschlechts verspricht, ist eine Weiterführung nur aufgrund kostspieliger klinischer Studien möglich. Somit ist diese Technik in den USA eingestellt und in Mexiko, Nordzypern und der Schweiz verfügbar gemacht worden. In EU-Ländern ist das Ganze aus ethischen Gründen nicht erlaubt.
Ein weiteres Verfahren ist die In-Vitro-Fertilisation (IVF), also die künstliche Befruchtung. Verfahren wie diese lassen es zu, das Geschlecht des Babys auch aus nicht medizinischen Gründen im Vorfeld festzulegen. Ursprünglich wurde dies eingesetzt, um im Vorfeld eine genetische Untersuchung durchzuführen. Damit werden schwere Erbkrankheiten bei der künstlichen Befruchtung ausgeschlossen.
Die Vorstellung, dass möglicherweise irgendwann nur noch „perfekte“ Menschlein auf die Welt kommt, ist zu Recht ein gruseliger Gedanke und lässt mit Schauer an Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ denken.
Mögen alle werdenden Eltern vor Glück über ihr Baby strahlen und die, die sich hier wiedererkennen, hoffentlich rasche Hilfe finden, um ihr kleines Glück dann voller Liebe in den Armen halten zu können.
Weiterführende Informationen und Hilfsangebote
- Hilfetelefon „Schwangere in Not“ ist eine Stelle, wo Schwangere Beratung und Hilfe erhalten. Erreichbar unter der Nummer: 0800 40 40 020 oder www.hilfetelefon-schwangere.de
- Krankenkassen können Informationen zusammenstellen und Kontakte zu weiteren Hilfsangeboten vermitteln
- Die psychiatrische Ambulanz einer Klinik oder an ein sozial-psychiatrisches Zentrum wenden sind in der Regel 24 Std. erreichbar.
- Das Hilfetelefon der Telefonseelsorge ist ebenfalls 24 Stunden erreichbar unter den Nummern: 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 11 10 222.