Gemäß Statistiken haben 10-20% aller Schwangeren in den ersten Schwangerschaftswochen eine Fehlgeburt. Das ist verhältnismäßig viel, insbesondere dafür, dass kaum jemand darüber spricht. Warum wird häufig nicht über Fehlgeburten gesprochen? Und wie können Betroffene und ihr Umfeld damit umgehen? Ein Erfahrungsbericht.
Relativ kurz nach unserer Hochzeit beschlossen mein Mann und ich, dass wir das Thema Kind(er) angehen wollten. Da unser beider Kinderwunsch zwar vorhanden, aber noch nicht sehr stark war, beschlossen wir, entspannt und ohne Druck an das Thema heranzugehen. Ich hatte erst kurz zuvor einen neuen Job angefangen und mir kam daher die Möglichkeit, dass es nicht sofort klappt, eher entgegen – zudem hörten wir aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, dass es in der Regel eh eine Weile dauern kann, bis sich eine Schwangerschaft einstellt.
Meine Schwester hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine Tochter und war mit der zweiten schwanger. Bei ihr hatte es beide Mal nach kurzer Zeit geklappt und da wir einen ähnlichen Genpool haben, hatte ich keinerlei Bedenken, dass es bei uns nicht auch in kurzer Zeit funktionieren würde.
Der Kinderwunsch
Doch es passierte nichts. Fast ein Jahr lang nicht. Mein Mann und ich führten eine Ehe auf Distanz und sahen uns in der Regel nur am Wochenende. Deshalb machte ich mir zu diesem Zeitpunkt auch noch keine großen Gedanken und wir nutzten die Zeit, uns näher mit der Materie zu befassen. Dabei lernten wir, dass unsere Annahme, es würde auf Anhieb klappen, wenn man die Verhütung absetzt, ziemlich naiv war.
Dass es wirklich nur so wenige fruchtbare Tage innerhalb eines Zyklus gibt und man diese dann schon genau treffen muss, war uns schlicht nicht klar gewesen.
Wir begannen also zunächst mit Hilfe einer App (Clue) und dann mit einem Funktions-Armband (Ava), das die relevanten Vitalfunktionen aufzeichnet, den Zyklus zu tracken und siehe da, bereits im zweiten Zyklus funktionierte es tatsächlich – ich hielt einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen.
Das war Ende Juli 2017. Die Frauenärztin teilte mir am Telefon mit, dass eine Untersuchung direkt nach dem positiven Test wenig sinnvoll wäre, da man noch nichts sehen könne. Ich solle also einen Termin in frühestens drei Wochen vereinbaren.
Bedingt durch unseren eigenen Urlaub und den der Praxis hatte ich den Termin erst Anfang Oktober. Trotz allem war ich guter Dinge, verspürte die typischen Schwangerschaftsanzeichen und freute mich darauf, im Oktober mit Sicherheit schon was auf dem Ultraschallbild sehen zu können. Während unseres Urlaubs wurde mein Schwiegervater schwer krank und musste auf der Intensivstation behandelt werden, weshalb wir nach nur wenigen Tagen den Urlaub abbrachen und die Zeit bei der Familie meines Mannes verbrachten. Auch wenn die Situation schlimm war, stärkte mich doch das Gefühl, ein Baby im Bauch zu haben.
Die erste Fehlgeburt
Anfang Oktober saß ich nervös im Wartezimmer der Frauenarztpraxis und wartete darauf, aufgerufen zu werden. Als ich auf dem Ultraschallbild die Fruchthöhle und einen winzigen Embryo sah, klopfte mein Herz vor Aufregung. Allerdings merkte ich schnell an den gerunzelten Augenbrauen und dem Schweigen der Ärztin, dass etwas nicht stimmte. Nach einer Weile, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, sagte die Ärztin „Das Herz schlägt nicht“. Auch wenn ich den Sinn der Worte verstand, nämlich dass das Baby nicht lebt – wirklich begreifen konnte ich es nicht. Es hatte sich doch so lebendig angefühlt, mit allen Anzeichen wie Übelkeit und Ziehen in der Brust.
Zur Sicherheit wollte sie noch einmal Blut abnehmen, um den HCG-Wert zu messen. Das Ergebnis sollte ich zwei Tage später erhalten. Die zwei Tage kamen mir endlos vor. Zwischen der Ungewissheit was wäre, wenn der Embryo tatsächlich nicht lebt und der letzten Hoffnung, dass doch alles in Ordnung wäre, manövrierte ich mich durch diese Tage. Am Tag, als ich für das Ergebnis anrufen sollte, meldete ich mich krank. Ich wusste, wenn ich bei einem negativen Bescheid im Büro wäre, wo ich eine Führungsposition innehatte, könnte ich nicht weiter funktionieren.
Als ich in der Praxis anrief, teilte man mir mit, die Ärztin wolle mich persönlich sprechen, sei aber in einem Termin und werde zurückrufen. Bis Mittag saß ich am Esstisch und wartete auf den Rückruf. Als sie anrief, hatte sie leider keine guten Nachrichten: Der HCG-Wert war viel zu niedrig. Sie nannte mir drei Kliniken, die ich bezüglich einer Ausschabung anrufen könne.
Da saß ich nun in meiner Wohnung, mit der Info, dass das, was ich mir schon in Gedanken ausgemalt hatte, nicht wahr werden würde und drei Telefonnummern von Kliniken für ein Prozedere, über das ich rein gar nichts wusste. Ich rief bei der ersten Klinik an und teilte mein Anliegen mit, dabei wusste ich nicht mal, wie ich es richtig formulieren sollte. Hatte ich eine Fehlgeburt? Und was genau wollte ich dort? Brauchte ich zuerst nochmal eine Untersuchung oder direkt einen Termin für die Ausschabung? Die Dame am Telefon der gynäkologischen Abteilung war sehr unfreundlich und meinte nur, ich solle einfach zu den Sprechzeiten vorbeikommen. Mir war klar, in diese Klinik möchte ich schon mal nicht. Meine zweite Anlaufstelle war das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Dort teilte man mir mit, ich solle am Montag vorbeikommen.
Das Wochenende verbrachte ich, wie fast immer, bei meinem Mann in Straßburg. Ich war furchtbar niedergeschlagen und gleichzeitig nervös, was am Montag passieren würde. Mein Mann hatte sich für Montag freigenommen, um mich in die Klinik zu begleiten.
Die Ärzte und das Personal im Robert-Bosch-Krankenhaus waren sehr einfühlsam und nach einer kurzen Untersuchung und der Bestätigung der Diagnose meiner Frauenärztin, teilte man mir die verschiedenen Optionen mit.
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch
Die Ärztin nannte mir den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch mit dem Medikament Cytotec als mögliche Alternative zur Ausschabung. Es handelt sich hierbei um einen Off-Label Use, das heißt, das Medikament wird für einen anderen Zweck eingesetzt als für den durch die Arzneimittelbehörde zugelassenen Gebrauch. Ursprünglich wurde Cytotec als Magenschutz-Medikament zugelassen, allerdings fördert es Wehen und wird deshalb entweder zum Schwangerschaftsabbruch oder auch zur Geburtseinleitung eingesetzt.
Die Vorgehensweise: Ich würde für drei Tage Cytotec einnehmen und danach wieder zur Kontrolle kommen. Laut Aussage der Ärztin wirkt Cytotec von Frau zu Frau sehr unterschiedlich. Bei manchen gar nicht und bei manchen sehr effektiv. Sie sagte, dass bei der Einnahme starke Schmerzen entstehen könnten. Ich solle mich vorsorglich mit einem hochdosierten Schmerzmittel eindecken.
Die Chance, ohne eine Ausschabung unter Vollnarkose auszukommen, klang für mich erstrebenswert, weshalb ich mich für den Abbruch mit Cytotec entschied und mir in der Apotheke noch Ibuprofen besorgte, bevor ich meinen Mann bat, mich im Büro abzusetzen. Ich wollte das Thema „Fehlgeburt“ so schnell wie möglich hinter mich bringen und wieder mit meinem Alltag weitermachen. Mein Mann fuhr also zurück nach Straßburg, ich nahm im Büro die erste Dosis Cytotec und war bereit, mein Tagesgeschäft abzuwickeln.
Bereits 20 Minuten nach der Einnahme des Medikaments bekam ich leichte Unterleibsschmerzen und Blutungen. Nach ca. zwei Stunden musste ich die erste Ibuprofen nehmen, weil die Schmerzen doch deutlich stärker wurden. Da ich am späten Nachmittag in meiner Funktion als Verlagsleiterin noch gemeinsam mit meiner Stellvertreterin ein Bewerbungsgespräch führen sollte, das in der Terminierung bereits schwierig gewesen war, wollte ich den Tag unbedingt noch durchziehen.
Während des Bewerbungsgesprächs wurden die Schmerzen allerdings so stark, dass ich mehrfach den Raum verlassen musste und zuletzt auch nicht wieder zurückkam. Als das Gespräch beendet war, fuhr mich meine Kollegin nach Hause. Ich schaffte es gerade noch bis zur Wohnungstür. Die Schmerzen wurden schier unerträglich (und das obwohl ich schon die Maximal-Dosis an Ibuprofen intus hatte) und ich bekam wahnsinnig starke Blutungen.
Erschöpft rief ich eine Freundin an, die mir eine Wärmeflasche vorbeibrachte und Tee kochte. Noch in der Nacht wurden sowohl die Schmerzen als auch die Blutung weniger. Allerdings verursachte das Medikament bei mir starke Nebenwirkungen wie Kopf- und Bauchschmerzen. Ich quälte mich durch die nächsten zwei Tage und hoffte, dass es wenigstens gut gewirkt hatte.
Am Freitag stand die erneute Untersuchung im Krankenhaus an. Das Cytotec hatte zwar gewirkt, aber noch nicht gut genug. Es waren noch zu viele Gewebereste in der Gebärmutter, die raus mussten. Die Ärztin fragte also, ob ich bereit wäre, das Medikament nochmal übers Wochenende zu nehmen.
Ich hatte keine Lust. Ich hatte mich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass diese Tortur nach drei Tagen überstanden sein sollte. Andererseits wollte ich jetzt, nachdem ich mich schon durch die letzten Tage gequält hatte, nicht doch noch operiert werden. Also willigte ich ein, nahm erneut einen Schwung Tabletten mit und fuhr nach Straßburg.
Das Wochenende war wieder geprägt von Schmerzen und ich hoffte inständig, dass damit alles erledigt wäre. Am Montag stellte sich allerdings heraus, dass es immer noch nicht ausreichend war und ich erhielt einen OP-Termin für Freitag.
Der operative Schwangerschaftsabbruch
Mein Mann war beruflich unterwegs und ich wollte ihn auch nicht wegen der OP, zu der er eh nichts beitragen konnte, davon abhalten. Also beschloss ich, meine Mutter zu fragen, ob sie mich hin- und zurückfahren könne. Ich wusste weder, wie ich sie fragen noch die Situation erklären soll. Sie hatte ja weder eine Ahnung von unserem Vorhaben, ein Kind zu bekommen, noch von der Annahme, dass es vermeintlich geklappt hatte und nun von dem Abbruch. Mit ihr darüber sprechen wollte ich auch nicht. Ich wollte keine mitleidigen Blicke oder Worte, sondern einfach mit dem Thema abschließen. Also schrieb ich ihr eine WhatsApp: „Hi Mama, ich hatte eine Fehlgeburt und muss am Freitag zur Ausschabung. Kannst du bitte kommen und mich fahren? Kann jetzt nicht telefonieren, lass uns später sprechen“. Zurück kam ein tränen-lachender Smiley – meine Mutter ist nicht gerade sattelfest in Emojis…
Sie kam am Donnerstagabend und wir gingen gemeinsam Essen. Über die Fehlgeburt sprachen wir nicht wirklich. Am Freitagmorgen saßen wir auf den Wartestühlen vor dem OP-Bereich und warteten darauf, dass ich aufgerufen würde.
In einem Vorraum gab man mir OP-Kittel, Haarnetz und Schlüssel für den Spind, in den ich meine privaten Sachen einschließen konnte. Dann ging es in einen großen Raum mit ca. 15 Betten, der sowohl Schleuse in den OP als auch Aufwachraum danach war. Ich war noch immer sehr nervös, aber irgendwie auch froh, dass in wenigen Stunden zumindest alles vorbei sein würde. Nachdem meine Daten geprüft wurden und ich einen Zugang gelegt bekommen hatte, ging es in den OP. Nach kurzer Zeit war ich in Vollnarkose und wachte schließlich wieder auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes auf, wo alles begonnen hatte.
Der Arzt kam kurz darauf vorbei und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich war noch etwas benommen und bekam nicht so richtig mit, was er mir erzählte. Nachdem er weg war, kam eine Schwester und teilte mir mit, dass ich jetzt auch gehen könne. Noch etwas benommen begab ich mich also zurück in den Raum mit den Spinden, holte meine privaten Sachen, zog mich an und rief meine Mutter an, um zu fragen, wo sie sei. Sie war unten in der Caféteria. Da ich für die OP nüchtern sein musste, ging ich zu ihr und wir tranken eine heiße Schokolade und aßen Butterbrezeln – überwiegend schweigend. Danach fuhren wir zusammen zu meinen Eltern nach Hause.
Meine erste Schwangerschaft war damit faktisch beendet. So ganz umrissen hatte ich es aber noch nicht.
Man hatte mich darüber informiert, dass ich nach der Ausschabung zwei bis drei Zyklen warten solle, bevor wir es wieder probieren. Denn dass wir es wieder probieren wollten, stand außer Frage.
Die zweite und dritte Fehlgeburt
Zwei Zyklen nach der ersten Fehlgeburt hielt ich wieder einen positiven Test in Händen. Mein Mann und ich freuten uns sehr, wenn auch verhaltener als beim ersten Mal. Ich rief direkt bei der Frauenärztin an und sie bat mich, unmittelbar zur Blutabnahme zu kommen, um den HCG-Wert dieses Mal genau im Auge zu behalten. Nach der ersten Blutabnahme dann die positive Nachricht – ja, ich war schwanger. Nach der zweiten Blutabnahme, wenige Tage später, zeigte sich aber schon, dass der Wert nicht so stark anstieg, wie er das sollte. Und bei der dritten Blutabnahme, ungefähr eine Woche später, sank er sogar wieder. Die zweite Schwangerschaft endete in der 6. Woche mit einem natürlichen Abgang.
Die Frauenärztin überwies mich daraufhin zu einem Spezialisten, um eine mögliche Blutgerinnungsstörung als Ursache für die Aborte prüfen zu lassen. Die Untersuchung ergab keine größeren Auffälligkeiten. Eine kleine Abweichung von der Norm wurde festgestellt, die der Experte als Ursache nicht ausschließen wollte, aber für sehr unwahrscheinlich hielt. Nichtsdestotrotz lautete die Empfehlung, vor einem positiven Schwangerschaftstest mit ASS ein blutverdünnendes Medikament einzunehmen und mir im Fall eines positiven Tests bis zum Ende des ersten Trimesters täglich Heparin zu spritzen.
Ich begann also mit der Einnahme von ASS, wobei mir auch dieses Medikament auf den Magen schlug, sodass ich zusätzlich Magenschutztabletten einnahm.
Bereits im nächsten Zyklus hatte es wieder geklappt. Freuen konnten wir uns kaum mehr über den positiven Test. Zu groß war die Befürchtung, dass es wieder zu einem Abort kommen würde. Täglich saß ich morgens bis zu fünf Minuten auf der Bettkante, bis ich mich überwinden konnte, mir das Heparin in den Bauch zu spritzen. Ich stellte fest, dass es schmerzhaftere und weniger schmerzhafte Stellen gab. Allerdings hatte ich nach wenigen Tagen bereits so viele blaue Flecken, dass ich nicht immer die weniger schmerzhaften Stellen nehmen konnte.
Leider hatte es nicht den gewünschten Effekt. Ähnlich wie beim zweiten Mal stieg der HCG-Wert nicht entsprechend an und es kam diesmal in der 8. Schwangerschaftswoche zu einem natürlichen Abgang.
Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, meine Blutergebnisse immer direkt nach Praxisöffnung am frühen Morgen in Erfahrung zu bringen. Das tat ich also in der Regel im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Nach jeder negativen Nachricht saß ich am Steuer, kämpfte mit den Tränen, nur um dann wenig später im Büro meinem Alltag nachzugehen. Ich wollte nicht, dass die Fehlgeburten mein Leben zu stark beeinflussen. Das taten sie aber natürlich. Mit jeder Fehlgeburt schwand meine Hoffnung auf eine normale Schwangerschaft. Im Freundes- und Bekanntenkreis wurde gefühlt eine Frau nach der anderen schwanger und ich konnte mich nicht mal mit guten Freundinnen wirklich mitfreuen. Immer fragte ich mich, warum klappt es bei anderen so problemlos und warum will es bei mir nicht klappen.
Nur sehr wenige Leute wussten um unsere Situation, trotzdem kamen Sprüche wie „ihr müsst das Ganze entspannter angehen, dann klappt das schon“ oder „mach dir nicht so viel Stress“ oder aber auch „in der 6./.7./8. Schwangerschaftswoche ist das doch noch gar kein richtiger Abbruch, sondern eher ein verlängerter Zyklus“. Solche Aussagen machten mich unfassbar wütend und traurig zugleich. Wir hätten es am Anfang nicht entspannter angehen können, aber nach drei Fehlgeburten, einem medikamentösen und operativen Abbruch, der Belastung durch von Medikamenten verursachten Magenschmerzen und der ebenfalls schmerzhaften Spritzen klang das alles wie blanker Hohn. Ich sprach also mit so gut wie niemandem mehr darüber. Meinem Mann wollte ich schon gar nicht mehr mitteilen, wenn ich mal wieder einen Test gemacht hatte, weil ich ihn nicht auch noch jedes Mal aufs Neue enttäuschen wollte. Trotz allem wollten wir es noch weiter probieren.
Nachdem ich die letzten negativen Ergebnisse vom Frauenarzt erhalten hatte, fragte ich am Empfang, wie es denn nun weitergehen würde und erhielt ein brüskes „Na was denken Sie denn, Sie kommen jetzt einfach wieder zur jährlichen Kontrolle“. Daraufhin ließ ich mir eine Überweisung ins Kinderwunschzentrum geben und beschloss, die Praxis zu wechseln.
Die vierte Fehlgeburt
Im Kinderwunschzentrum wurden nach ersten Beratungsgesprächen zunächst weitere Untersuchungen, wie z. B. eine Genanalyse, angeboten. Da die Befruchtung der Eizelle offensichtlich nicht das Problem war, lag es wohl daran, dass sie sich nicht einnisten konnte. Ein umfangreicher Fragebogen sollte abklären, ob es bekannte Defekte in einer der beiden Familien gab, doch weder in meiner noch in der meines Mannes war es bislang zu Fehlgeburten gekommen.
Auch die Genanalyse zeigte keine Auffälligkeiten und damit keine möglichen Ursachen. Die behandelnde Ärztin erzählte mir von einer These: Die Gebärmutterschleimhaut baut sich in jedem Zyklus neu auf, d.h. die Zusammensetzung variiert gewissermaßen immer. Es besteht also die Möglichkeit, dass im einen Zyklus mit der Zusammensetzung etwas nicht in Ordnung ist, sodass sich die Eizelle nicht einnisten kann, es aber im nächsten doch passt und somit auch klappt. Ich recherchierte online, um mehr über diese These herauszufinden. Dort gab es natürlich phantastische Geschichten von einer Frau, die 19 Fehlgeburten hatte, bis die 20. Schwangerschaft problemlos verlief. Hoffnung machte mir das nicht, denn ich wusste, dass ich nicht die Nerven hätte, das noch unzählige Male mehr durchzustehen.
Bereits kurze Zeit nach Aufnahme ins Kinderwunschzentrum hatte ich wieder einen positiven Test. Die medizinische Überwachung war hier viel engmaschiger und das Team sehr empathisch. Nichtsdestotrotz verlief es auch dieses Mal wie die Male zuvor. Ich nahm ASS, spritzte täglich Heparin und in der 6. Schwangerschaftswoche hatte ich einen natürlichen Abgang.
Das war Anfang 2018. Mein Job war zu dieser Zeit enorm stressig, die private Belastung tat ihr Übriges. Ich beschloss, den Job zu kündigen und etwas anderes zu machen, wenn es bis Jahresende nicht klappen würde, schwanger zu werden. Vielleicht war der Stress doch mit ein Faktor, dass es immer wieder zum Abbruch der Schwangerschaften kam. Außer beim ersten Abbruch meldete ich mich keinen weiteren Tag krank, sondern ging jedes Mal nach den Arztterminen oder telefonischen Benachrichtigungen wieder ins Büro und tat so, als ob alles in bester Ordnung wäre.
Das Happy End
Im nächsten Zyklus probierten wir es wieder. Wenige Tage bevor es mir möglich war, den ersten Schwangerschaftstest zu machen, spürte ich im Unterleib ein starkes Ziehen und dachte sofort „aha, es hat schon wieder nicht geklappt“. Wir fuhren zwei Tage später in den Urlaub – Städtetrip nach Moskau während der WM 2018. Ich nahm meine Medikamente (die Heparin-Spritzen) nicht mit. Es war mir zu viel Aufwand dafür, dass es vermutlich eh wieder nichts bringen würde.
Wir wohnten bei Freunden in Moskau und ganz russisch-standesgemäß begrüßte uns unser Gastgeber mit einem Shot Vodka. Da ich die Hoffnung noch nicht vollständig aufgegeben hatte, trank ich ihn nicht. Nachdem wir zwei Tage in Moskau waren, beschloss ich, doch einen Schwangerschaftstest zu machen. Er war positiv. Kurz war ich erschrocken, weil ich das Heparin nicht dabei hatte, dachte dann aber „gebracht hat es bisher ja eh nichts“. Ich wusste, dass ich die nächsten 14 Tage nicht die Chance hatte, mein Blut auf den HCG-Wert untersuchen zu lassen. Da beim ersten Test der zweite Strich sehr blass gewesen war, beschloss ich, noch ein paar Tests zu kaufen und selbst zu beobachten, ob er dunkler wird. Glücklicherweise sind Schwangerschaftstests in Russland deutlich günstiger als in Deutschland. Ich machte fast täglich einen Test und siehe da, der zweite Streifen wurde tatsächlich immer dunkler.
Obwohl mich das einigermaßen positiv stimmte, trauten mein Mann und ich uns nicht, uns wirklich zu freuen. Die nächsten zehn Tage musste ich mir eine Ausrede nach der anderen einfallen lassen, warum ich keinen Alkohol trank. Unsere Freunde schöpften natürlich Verdacht, sprachen uns aber nicht darauf an.
Zurück in Deutschland hatte ich direkt einen Ultraschall-Termin im Kinderwunschzentrum, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Zum wiederholten Mal sah ich die Fruchthöhle und einen winzigen Embryo. Das Herz schlug – deutlich sicht- und hörbar!
Ich war einerseits wahnsinnig erleichtert, hatte andererseits aber doch Angst, dass es wieder aufhören könnte zu schlagen. Über drei Wochen hatte ich wöchentlich einen Ultraschall- und zahlreiche Blutabnahme-Termine, um zu prüfen, ob die Entwicklung gut verlief. Und das tat sie. Der Embryo wuchs, das Herz schlug kräftig und gleichmäßig.
Da damit die Behandlung im Kinderwunschzentrum abgeschlossen war, machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Frauenarztpraxis. Gar nicht so einfach in Stuttgart. Durch die Empfehlung einer Freundin fand ich schließlich eine ganz tolle Praxis, die die Betreuung für die weitere Schwangerschaft übernahm.
Die Schwangerschaft wurde als Risikoschwangerschaft eingestuft und mein Mann und ich trauten uns lange Zeit noch nicht, uns wirklich zu freuen oder gar einen Namen für das Baby zu überlegen – wie sich herausstellte völlig zu unrecht. Die gesamte Schwangerschaft verlief völlig problemlos, ohne Beschwerden und auch die Geburt war schnell und unkompliziert.
So hatten wir nach einer langen und wirklich sehr aufreibenden Zeit endlich unser Happy End – einen gesunden und rundum perfekten Sohn.
Bei der zweiten Schwangerschaft klappte es übrigens direkt im zweiten Zyklus ohne vorherige Abgänge oder Komplikationen.
Fazit
Im Nachgang sprachen und sprechen mein Mann und ich viel über unseren Weg zum ersten Kind, auch mit (kinderlosen) Freunden. Dadurch erfuhren wir von ganz vielen, denen es ähnlich ging, ohne dass wir es mitbekommen hätten. Das zeigte mir, wie verbreitet dieses Thema ist und wie wenig darüber gesprochen wird. Dabei empfinde ich es als wichtig, in solch einer Zeit auch mit jemandem sprechen zu können. Und zwar nicht nur mit dem selbst betroffenen Partner, sondern auch mit Freunden.
Was ich ebenfalls gelernt habe: Wenn ich mit jemandem darüber spreche, erwarte ich keine aufmunternden Worte („das wird schon noch“) oder Tipps („ihr müsst das entspannt angehen“) oder gar Lösungen, sondern jemanden der zuhört, mit dem man seine Trauer teilen kann, der einen in den Arm nimmt und einfach da ist. Auch ich hätte vorher nicht gewusst, was eine adäquate Reaktion auf solch eine Geschichte ist. Doch gerade deshalb ist es wichtig, dass wir darüber sprechen, davon berichten.
7 KOMMENTARE
Hallo Tanja,
es hat mir das Herz gebrochen deine Geschichte zu lesen. Ich liege zuhause auf der Couch, habe meine Medikamente für den Abgang meiner Fehlgeburt (8.Ssw) genommen und warte seitdem auf das Einsetzen der Blutung. Das viermal durchzustehen würde ich nicht überleben glaube ich. Dass es mir genauso ergeht wie die, genau das befürchte ich. Wurde schnell schwanger, aber wenn es dann immer in einer Fehlgeburt enden sollte dann haben wir nichts von diesem Glück… ich weine um unserer beider Schicksale, ich bin froh, dass es für euch noch ein Happy End gegeben hat. Was für eine starke Frau du sein musst. Danke fürs Erzählen deiner Geschichte. Viele Grüße und alles Gute für eure Zukunft!
Liebe Natalie, es tut mir wahnsinnig leid, das zu lesen und wünsche dir viel Kraft! Die richtigen Worte zu finden ist sehr schwer, denn nichts kann den Kummer in dem Moment lindern. Ich kann dir jedoch empfehlen, dir Unterstützung zu holen. Auch bei einem frühen Abort gibt es Hilfsangebote. Schau doch mal hier in den Beitrag, vielleicht ist für dich etwas dabei, das dir hilft! Fühle dich gedrückt – Tanja
Hallo meine Liebe ,
Ich danke dir fûr deinen Beitrag. Er baut mich gerade sehr auf . Das es bei dir nach so vielen Fehlgeburten geklappt hat freut mich und gibt mir selber etwas Hoffnung .
Ich stecke gerade auch in so eine Lebenskrise.
Kurz zu meiner Geschichte .
2014 haben ich geheiratet und wollte nach einen Jahre versuchen schwanger zu werden .
Also habe ich Mitte 2015 die Pille abgesetzt und dachte , so naiv wie ich war , es wird schon klappen . Hat es aber nicht . Mann muss wissen , das ich selber in einem Kinderwunsch Zentrum arbeite und eigentlich es besser wissen sollte .
3 Jahren sind dann vergangen und es hat noch immer nicht geklappt . Also habe ich meine Chef gefragt ob er uns untersuche könnte . Hat er dann auch gemacht , Hormonwerte, Ultraschall Befund , spermiogramm waren alles in Ordnung .
Da es aber bis dahin nicht geklappt hatte , haben wir mit der künstlichen Befruchtung angefangen. Leider hat es auch nicht geklappt . 4 Jahre habe ich mich künstlich befruchten lassen , ohne einmal schwanger zu werden . Obwohl alles jedesmal gut aussah . Physisch und physisch ging es mir nach 7X künstliche Befruchtung , 20x das einsetzen von den Befruchteten Embryonen, sehr sehr schlecht . Ich hatte auch eine Gebärmutterspieglung und Genetik Untersuchung . Alles in beste Ordnung . Das konnte ich auch nicht mehr hören . Ich wollte das es einen Grund gibt .
2022 waren wir in meinen Heimatland , und meiner Schwägerin meinte ich sollte mal eine Bauchspieglung machen , das hätte vielen geholfen . Erstmal war ich dagegen , da es ja meine Frauenärztin in Deutschland abgelehnt hat und mein Chef mir diese Möglichkeit nie Angeboten hatte .
Am Ende konnte man mich dann doch überreden und ich habe die OP im Heimatland machen lassen .
Gleich nach der OP , paar Wochen später hatte ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand . Wir konnten es nicht glauben . Nach über 8 Jahren Kinderwunsch hat es geklappt .
Leider hat der Herzschlag in der 8 SSW nicht mehr geschlagen und wir waren am Boden zerstört .
Ich habe dann eine Ausscherbung in September 22 machen lassen. Verlief alles gut und das Material wurde und Genetikum geschickt . Es wäre ein Mädchen gewesen . Genetisch war alles ok .
Ich hatte Angst das ich Widder 8 Jahre brauchen würde um wieder schwanger zu werden … es war dann aber nicht der Fall. 6 Wochen nach der Ausscherbung wurde ich unerwartet wieder schwanger . Diesmal war die freute zwar auch wieder groß aber verhaltender.
Leider hatte ich wieder eine Fehlgeburt und der gleichen SSW. Ich konnte nicht verstehen warum .
Dieses Mal musste ich auch ein Medikament nehmen, das es abgeht .
Es waren wirklich die stärksten Schmerzen die ich hatte . Sowas wünsche ich keinen. Vor schmerzen habe ich geweint und geschrien . Jetzt habe ich diese Freitag einen Frauenarzt Termin um zu schauen ob alles raus ist .
Ich bin gerade wirklich so am Boden und habe deinen Beitrag gelesen . Das du ein Happy End hattest baut mich sehr auf und gibt not Hoffnung .
Alles liebe dir
Liebe Awi,
deine Geschichte bricht mir das Herz. Es tut mir wahnsinnig leid, dass du diese Erfahrungen machen musstest und musst. Leider zeigt es auch, dass es oftmals keine erkennbaren Ursachen gibt. Wir sind es so gewöhnt, dass die Medizin Ursachen erkennt und Lösungen bietet, dabei ist gerade das Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt so komplex, dass wir oftmals eben keine medizinische Abhilfe finden.
Ich weiß, dass das Thema neben den körperlichen Schmerzen vor allem auch seelische Schmerzen bereitet und möglicherweise sogar sehr langfristig. Deshalb hoffe ich, dass du ein Umfeld hast, mit dem du über deinen Schmerz sprechen kannst und das dir halt gibt. Ansonsten kann ich dir den Austausch im Rahmen einer professionellen Begleitung oder in einer Gruppe mit ähnlichen Erfahrungen nur ans Herz legen. Es wird dadurch nicht zwangsweise einfacher, aber das Gefühl verstanden zu werden und den Schmerz zu teilen, hilft.
Ich drücke dir ganz fest die Daumen und wünsche dir alles Liebe!
Tanja
Hallo Tanja,
ich bin bei meiner Recherche auf dein Artikel zugestoßen und ich freue mich vom ganzen Herzen, dass ihr nun endlich Kinder habt. Alles was du erzählt hast, ist mir auch passiert: von Ausschabung, natürlichem Abgang und wieder Ausschabung. Keiner Arzt konnte feststellen, was nun bei uns nicht stimmt, da alle Ergebnisse in Ordnung waren. Es ist frustrierend und total demotivierend. Besonders wenn manche sagen, dass es gar nicht so richtig schlimm sein kann, wenn man arbeitet n den ersten 12 Wochen das Baby verliert – das ist doch vollkommen natürlich… Nach 3 Jahren und 2 Fehlgeburten kann ich keine Vorfreude spüren. Nun sitze ich gerade im Badezimmer und sehe mir meinen positiven SST. Ich kann mich nicht freuen, da ich die Angst habe, dass es diesmal das gleiche passiert.
Liebe Grüße,
Marina
Liebe Marina,
es ist wirklich sehr belastend, nicht zu wissen, warum es nicht klappen mag. Umso hilfreicher empfand ich es, mich mit anderen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind. Für Menschen, die solche Erfahrungen (noch) nicht gemacht haben, ist es oft schwierig nachzuvollziehen oder sie wissen nicht damit umzugehen.
Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft!
Liebe Grüße
Tanja
Hallo Tanja, danke für deinen ehrlichen Beitrag, und dass du mir Hoffnung machst dass es auch bei uns noch funktioniert, freut mich sehr für euch dass ihr endlich ein gesundes Baby habt.
Ich habe vier Fehlgeburten hinter mir, mit zwei Ausschabungen! Auch ich muss mir in der nächsten Schwangerschaft ass100, heparin spritzen und Progesteron zu mir nehmen.. ich hoffe so sehr dass es bald funktioniert, unsere Nerven liegen total blank