Sport in der Schwangerschaft gehört für viele Frauen einfach dazu. Andere fragen sich vielleicht, ob das wirklich gut fürs Baby ist. Wir haben eine Expertin befragt, die es wissen muss. Tina Hohloch ist Physiotherapeutin und bietet in ihrer Praxis „Stay in Motion“ in Stuttgart Kurse wie SchwangerFit oder einen 3-stufigen Rückbildungskurs an. Im Interview erzählt sie uns, wie wichtig Sport in der Schwangerschaft ist, um Schwangerschafts-Beschwerden zu minimieren und fit zu bleiben.
Sport in der Schwangerschaft – ein Experten-Interview mit Tina Hohloch
Sport kann grundsätzlich auch in der Schwangerschaft bedenkenlos betrieben werden – außer es sprechen medizinische Gründe dagegen. Ansonsten bringt Sport in der Schwangerschaft viele positve Effekte mit sich. Nicht nur Herz, Lunge und Stoffwechsel werden angeregt, sportliche Schwangere haben auch grundsätzlich weniger typische körperliche Beschwerden. Auch psychisch wirkt sich die sportliche Betätigung positiv aus – fühlt man sich doch fit und frisch.
Diese Dinge liest man in allen Artikeln zu dem Thema. Wir wollten es aber noch einmal genau wissen und haben Tina Hohloch befragt.
Darf man in der Schwangerschaft Sport treiben?
In den ersten Wochen und Monaten einer Schwangerschaft stellt sich der Körper vor allem hormonell um. In dieser Zeit haben viele Frauen mit Übelkeit und einer enormen Müdigkeit zu kämpfen. Eine Überbelastung durch Alltag und Sport wäre in dieser Zeit nicht förderlich. Stattdessen sind Spaziergänge an der frischen Luft empfehlenswert. Die meisten Frauen bekommen jedoch ihre Energie nach ca. 12 Wochen wieder zurück.
Ganz wichtig ist dann, in der fortgeschrittenen Schwangerschaft keine schnellen Dreh- und Stoppbewegungen zu machen. Denn durch das wachsende Kind und den größer werdenden Bauch verliert der Rumpf an Stabilität. Generell sollte die Art des Sports in der Schwangerschaft sowie die Intensität so gewählt werden, dass man sich wohl fühlt und nicht überbelastet.
Die Ansprüche für den Aufbau von Kraft und Ausdauer sollten dem Zustand in der Schwangerschaft angepasst werden. Der Fokus sollte eher auf ein Training der richtigen und wichtigen Muskelgruppen gelegt werden, die tendenziell in einer Schwangerschaft schwächer werden.
Welche Sportarten eignen sich für Schwangere?
Vielen Frauen möchten sich bewegen, den Rücken stärken/entlasten und etwas ins Schwitzen kommen. Da bietet sich ein leichtes Fitnessprogramm mit einer Mischung aus Kraft und Ausdauer an.
Yoga in der Schwangerschaft empfehle ich für die innere Ruhe, Achtsamkeit und Mobilität des ganzen Körpers. Allerdings gibt es Frauen, die durch das wachsende Kind zu einer hohen Beweglichkeit im Beckenbereich neigen. In diesem Falle kann das Dehnen zu Beschwerden im Rücken- und Symphysenbereich (Beckenring) führen und sollte vermieden werden.
Gegen Wassereinlagerung und für ein Training mit Gewichtsentlastung eignet sich Aquafitness optimal.
Sollte eine Schwangere zuerst ihren Gynäkologen fragen, ob Sport erlaubt ist?
Zu Beginn einer Schwangerschaft sucht jede Frau zur Bestätigung und Abklärung in der Regel einen Gynäkologen auf. Es bietet sich an, in diesem Gespräch abzufragen, welche Sportarten individuell durchgeführt werden dürfen. Die Voraussetzungen hierfür können bei jeder Schwangeren unter-schiedlich sein. Vor allem bei Risikoschwangerschaften sollte man unbedingt mit dem Facharzt sprechen, bevor Sport getrieben wird.
Wann sollte man Sport in der Schwangerschaft lieber vermeiden?
Nach Rücksprache mit dem Gynäkologen bei Unwohlsein, starker Ermüdung und Schmerzen. Bei Beschwerden wie z.B Symphysen- und Rückenschmerzen empfehle ich nach Abstimmung mit einem Facharzt das Training mit einem qualifizierten Trainer*in/Therapeut*in.
Sollten Schwangere eher Ausdauersport oder Krafttraining machen?
Ich rate hier zu einer guten Mischung. Die Herzfrequenz steigt in der Schwangerschaft physiologisch an, deshalb sollte bei einem Ausdauertraining der Puls kontrolliert werden. Dies kann durch einfaches Zählen des Pulses am Handgelenk oder noch einfacher über eine Fitnessuhr kontrolliert werden. Dabei sollte sich die Schwangere beim Training an einem Puls von ca. 150 Schlägen/Minute orientieren.
Eine Schwangere, die schon immer Ausdauertraining gemacht hat, kennt ihren Körper. Sie merkt sofort, ob und wie lange ihr das Lauftraining gut tut. Sie spürt, wenn das Gewicht auf den Beckenboden zu groß wird und das Training bzw. dessen Intensität umgestellt werden muss.
Spielt es eine Rolle, ob eine Frau vor der Schwangerschaft schon regelmäßig trainiert hat?
Häufig fällt es Frauen leichter ihren Körper einzuschätzen, wenn sie schon vor der Schwangerschaft Sport getrieben haben. Zudem profitieren sie von der Kraft und Stabilität, die sie sich dadurch erarbeitet haben. Trotzdem sollten auch Frauen, die vorher nicht so viel Wert auf sportliche Betätigung gelegt haben, sich trauen, Sport in der Schwangerschaft zu machen.
Sport in der Schwangerschaft gleicht Dysbalancen aus und kann Rücken- und Beckenbeschwerden verbessern oder sogar vorbeugen. Der Körper wird mit mehr Sauerstoff versorgt, was sich wiederum positiv aufs Baby auswirkt. Wichtig ist, es langsam anzugehen, d.h. keine neuen Sportarten mit hoher Belastung zu erlernen und sich nicht zu überanstrengen.
Bei Unsicherheiten lohnt es sich unter Anleitung mit einem geschulten Trainer*in/Therapeut*in zu trainieren. Zusätzlich kann „grünes Licht“ vom Gynäkologen für Entspannung sorgen.
Wieviel Training ist empfehlenswert?
Damit die Schwangere Dysbalancen reduzieren kann, empfehle ich 2-3 Mal pro Woche zu trainieren. Trotzdem ist ausreichend Bewegung auch an den restlichen Tagen wichtig. Ein grober Richtwert sind 7.500 Schritte/Tag.
Mein Tipp: Achtsamkeits- und Atemübungen eignen sich besonders gut, um sich vom Alltagsstress abzugrenzen. Das hilft dabei, sich in dieser besonderen Zeit ganz auf sich und das Baby zu konzentrieren.
Soll die Schwangere das Training je nach Trimester anpassen?
Je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist, desto größer wird der Bauch. Das bedeutet, dass die geraden Bauchmuskeln immer weiter auseinanderweichen (Rektusdiastase). Dadurch entsteht eine Instabilität im Rumpf.
Deshalb macht es Sinn, ab Mitte des 2. Trimesters (ca 20. SSW) auf schnelle und ruckartige Bewegungen zu verzichten. Stattdessen wird das Training der Becken- und Beinstabilität in den Fokus gestellt.
Gibt es Regeln, an die ich mich beim Sport in der Schwangerschaft halten muss bzw. wie trainiere ich richtig?
- Mit zunehmendem Gewicht des Kindes kann es in Rückenlage oder auch beim Training aus der Rückenlage zu einem „Vena cava Syndrom“ kommen. Dabei wird die Hohlvene, welche das Blut zurück zum Herzen führt, durch das Gewicht des Kindes abgedrückt. Dies kann zu Schwindel und Ohnmacht führen. Die meisten Frauen bemerken das sehr schnell und meiden dann das Training aus dieser Position. Das Training in Seitenlage, Sitz und Stand ist hingegen unbedenklich
- Beim Training mit der Faszienrollen sollten die Fußsohlen und der untere Rücken ausgespart werden. So werden keine vorzeitigen Wehen ausgelöst. Auch das intensive Ausrollen der Wadenmuskulatur empfehle ich nicht. Der in der Schwangerschaft verlangsamte Blutstrom und die weitgestellten Venen steigern ohnehin schon das Thromboserisiko
- Pulskontrolle (nicht über 150 Schläge/Minute)
- Vermeiden von schnellen Dreh- und Stoppbewegungen
- Das Training der Becken-Bein-Achse in den Vordergrund stellen, diese ist wichtig für eine gute Stabilität
- Kein Training der geraden Bauchmuskeln aus der Rückenlage. Dies kann die Rektusdiastase (Auseinanderweichen der Bauchmuskulatur durch den dicker werdenden Bauch) negativ beeinflussen
Darf man in der Schwangerschaft mehr essen, wenn man Sport treibt?
Dieser Mythos „Essen für Zwei“ ist zum Glück schon lange vom Tisch. Eine Schwangere sollte sich ausgewogen, vielseitig und gesund ernähren. Das gilt übrigens auch, wenn man nicht schwanger ist 🙂
Kann man mit ausreichend Sport in der Schwangerschaft Rückenschmerzen und sogar Depressionen vorbeugen?
Aufgrund des wachsenden Kindes kommt es zu einer Schwerpunktverlagerung nach vorne. Das führt zu Dysbalancen und muss vom Rücken ausgeglichen werden. Viele schwangere Frauen leiden dadurch unter Rücken- und Nackenbeschwerden. Durch ein richtiges Training können diese deutlich verbessert bzw. diesen vorgebeugt werden.
Bei Depressionen sind Sport und Bewegung heutzutage feste Bestandteile einer Therapie. Da liegt es nahe, dass dieser positive Effekt sich auch in der Schwangerschaft zeigt.
Im British Journal of Sports Medicine (BJSM) wurde eine Studie* veröffentlicht, die aussagt, dass ein Training von 3 mal wöchentlich á 60 Minuten die Depressionen vor allem am Ende und nach der Schwangerschaft deutlich verringert.
In unserer Praxis stay in motion begleiten wir Frauen mit Physiotherapie, Sport und Bewegung während und nach der Schwangerschaft.
Fazit:
Sport in der Schwangerschaft tut gut und macht diese besondere Zeit noch schöner. Unser Körper ist fit und das Wohlgefühl lässt uns von innen strahlen. Wir bedanken uns bei Frau Hohloch für die umfassenden Informationen und freuen uns über viele Anmeldungen für ihre Kurse hier auf bob.family oder direkt auf stay in motion (online oder in Präsenz). Ist nicht das passende dabei? Dann klicke dich einfach durch unser vielfältiges Angebot und lass dich inspirieren!
Quelle: * „Physical exercise programme during pregnancy decreases perinatal depression risk: a randomised controlled trial“ (Marina Vargas-Terrones, Ruben Barakat, Belen Santacruz, Irene Fernandez-Buhigas, Michelle F Mottola)
Bilder: Pexels